Reisetagebuch einer Studienreise nach Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro

Liebe Mitreisende,
Vielleicht werden Euch, wie bei den beiden letzteren Malen, einige Bemerkungen und Geschichtsfakten interessieren.

Wie immer steht, wie im wahren Leben, die Geschichte am Anfang.
Heute ist die Balkanhalbinsel hauptsächlich von den sprachlich wie völkisch eng verwandten slawischen Völkern besiedelt. Außerdem wohnen dort Nachkommen älterer Völker: Griechen und Albaner. Da wir eine Reise im ehemaligen Jugoslawien („Südslawen“) gemacht haben, interessieren uns eben nur die slawischen Völker.
Deren Einwanderung erfolgte zwischen dem VI. und VIII. Jahrhundert vermutlich vom nördlichen Ufer des Schwarzen Meeres. Familien wanderten sippenweise ein (d.h. keine Könige, keine großen Schlachten, wie bei den Germanen) und besetzten den größten Teil der Balkanhalbinsel. Die ein vereinfachtes Latein sprechende Bevölkerung wurde teils assimiliert, teils in unwirtliche Gebirgsgegenden verdrängt, wo es noch heute Reste von ihr gibt. Sie wanderte größtenteils in das von den Mongolen verwüstete heutige Rumänien ein, ebenfalls unauffällig sippenweise, und behielt ihre zu 80 % romanische Sprache. (Die Entwicklung der weiter südlich wohnenden slawischen Völker verlief etwas anders und komplizierter, wen das interessiert, der möge im Reisetagebuch "Bulgarien" nachlesen. - Achtung Eigenwerbung!)

Wie die meisten europäischen Völker durchliefen die Südslawen zwei gleichzeitige Prozesse, die Christianisierung und die Organisation in staatlichen Einheiten. Dabei erfolgte ein Bruch, der bis heute unauslöschliche Spuren hinterließ. Die westlichen Gegenden wurden von Italien aus katholisch bekehrt, die östlichen von Ostrom aus griechisch-orthodox. Nach kurzer eigener Existenz geriet das Königreich Kroatien in eine achthundertjährige Personalunion mit Ungarn: 1102, und zwar unter Koloman, dem Bücherfreund. Es gibt so viele Könige, große, kleine, tapfere, grausame, aber auch schiefmäulige, einfältige, Stotterer, aber den Ehrentitel „Bücherfreund", führt nur dieser eine unter ihnen.

Die größten Rivalen der Ungarn waren die Venezianer.
1203 z. B. geschah Folgendes: Man plante einen Kreuzzug. Die Wege durch Kleinasien waren schon durch die Türken versperrt. Die Venezianer erboten sich, die Ritter ins Heilige Land zu transportieren. Aber sie mussten ihre Passage "erarbeiten" (Großgrundbesitzer hatten wenig Bargeld). Zuerst eroberten sie die Stadt Zadar vom ungarischen König, dann zogen sie weiter nach Konstantinopel, nahmen die Stadt für die Republik Venedig ein. - Die Stadt war schön, die Stadt war reich: "Und da verzichteten sie weise / Dann auf den letzten Teil der Reise.1" Städte in Dalmatien wurden erobert, zurückerobert, manchmal sogar ge- und verkauft. Am Ende wurde Süddalmatien venezianisch, Norddalmatien kroato-ungarisch (auch ein schönes Wort). Da die beiden Länder Kroatien und Ungarn eine ähnliche Gesellschaftsstruktur hatten (und das praktisch bis 1848), gelten die hier beschriebenen Entwicklungen auch für beide.

1 Ringelnatz, Ameisen

Die Bevölkerung bestand praktisch aus zwei Schichten, dem Adel und leibeigenen Bauern. (Das städtische Bürgertum war marginal und oft fremdländisch.) Die beiden Schichten grenzten sich immer mehr voneinander ab. Der entscheidende Stand war der Kleinadel. Er wählte die Würdenträger in den Komitaten (Verwaltungseinheiten), beschickte die Komitätsversammlungen sowie die untere entscheidende "Tafel“ der Landesversammlung (An der anderen „Tafel“ saßen die Magnaten). Diese wählte sogar den König zwischen 1301 und 1526. Da es eine Berufs- und Söldnerarmee nicht gab, unterlag ihr die Kriegsführung. So lange es ähnlich strukturierte Nachbarländer gab, war das auch kein Problem.

Aber ab etwa 1400 tauchte die aggressive türkische Militärmacht auf. Eine Zeit lang ging die Abwehr sogar gut, der aus dem Kleinadel stammende Feldherr Johannes Hunyadi und sein zum König gewählter Sohn, Matthias (1456 - 1490) erfochten glänzende Siege. Kurz davor, 1514, versuchte man mit Hilfe einer Bauernarmee einen Türkenfeldzug zu führen. Dies artete in einen großen Bauernaufstand aus, der grausam unterdrückt wurde. Der darauf folgende Landtag beschloss die endgültige Entrechtung der Bauern als "misera contribuens plebs".

Aber 1526 fiel der König Ludwig II. Die Mitte des Landes wurde von den Türken besetzt, Siebenbürgen wurde zu einem türkischen Vasallenfürstentum mit einem von ungarischen Adligen und wohlhabenden sächsischen Bürgern gewählten Fürsten.

Den Westen und die heutige Slowakei, etwa so groß wie heute, sowie das ebenfalls von den Türken bedrohte Böhmen regierte Ferdinand, der jüngere Bruder Karls des V. Kroatien als Anhängsel kam sozusagen mit. Fast vier Jahrhunderte lang (bis 1928) war das größte juristische Problem, dass die Habsburger nicht direkt, sondern in ihrer Eigenschaft als ungarische Könige in Kroatien herrschten. Aber vorläufig herrschte Krieg. Selbst in offiziellen Friedenszeiten waren Scharmützel erlaubt, nur Kanonen durfte man dabei nicht einsetzen. Kroatische und ungarische Adlige und Söldner aus aller Herren Länder verteidigten die Grenzbefestigungen.
In dieser Zeit war das Einvernehmen zwischen den beiden Völkern relativ groß. Zum Beispiel verteidigte Nikolaus Zrinyi eine Grenzfestung gegen Suleiman den Prächtigen. Sein gleichnamiger Enkel schrieb darüber ein Heldengedicht. Sein jüngerer Bruder Petar Zrinyi übersetzte es ins Kroatische. Diesem Petar Zrinyi ging es später schlecht. Als die Habsburger zu absolutistisch wurden, zettelte er mit anderen ungarischen hohen Herren eine Verschwörung gegen sie an. Sie wurden hingerichtet. Heute ist er kroatischer Nationalheld und man benennt Straßen nach ihm.
Ab 1578 begann die habsburgische Militärverwaltung mit der Einrichtung der kroatischen Militärgrenze. Vor allem serbische Flüchtlingsbauern wurden als Wehrbauern angesiedelt. Sie zahlten keine Steuern, mussten aber ständigen Wehrdienst leisten.

Jetzt eine allgemeine Bemerkungen über Kroaten und Serben. Das einzige Unterscheidungs-merkmal ist die Religion. Selbst die Dialektgrenzen gehen über "Landesgrenzen“ hinweg. In Europa kann man so etwas nur mit Nordirland vergleichen, aber selbst dort sind die Protestanten von Cromwell und Wilhelm von Oranien angesiedelt und mit Privilegien ausgestattet worden, sind also ursprünglich tatsächlich Angehörige eines anderen Volkes. Sprachlich versuchte man unter Tito eine einheitliche "serbokroatische " Sprache zu schaffen, (Novisader Kompromiss 1954) heute ist das Ziel, unter Betonung der Unterschiede, aber auch unter Zurückdrängung der Dialekte, zwei Schriftsprachen zu schaffen.

Nun aber zurück zur Geschichte.
Nach de Belagerung von Wien 1683 begann die österreichische Militärmaschinerie tatsächlich mit der Zurückeroberung Ungarns. Dort aber wurde Österreich bei weiten Kreisen der Bevölkerung extrem unpopulär, vor allem wegen der repressiven Religionspolitik in dem damals ziemlich protestantischen Land. So kam es zu antihabsburgischen Aufständen, sogar mit türkischer Hilfe. Der erste Vorbote dieser Bewegung war die schon erwähnte Verschwörung von 1666. Es ist auch bezeichnend, dass die Kroaten bei den Türkenkriegen begeistert mitmachten, von anti-habsburgischen Bewegungen war keine Rede.
Um 1699 waren die Türken aus Ungarn heraus gedrängt, Siebenbürgen wurde aber nicht mit Ungarn vereinigt, sondern blieb ein selbständiges Großherzogtum unter den Habsburgern. Trotzdem kam es mit französischer Hilfe (Frankreich und Österreich standen in spanischen Erbfolgekrieg als Feinde gegenüber) zu einem großen Aufstand (1703-1711). Der Aufstand endete mit einem Kompromiss.

In Kroatien wiederum nichts dergleichen. Und damit begann ein fast anderthalb Jahrhundert langes goldenes Zeitalter des Adels in beiden Ländern. Der Blutzoll der Türkenkriege endete, die Privilegien blieben, der Adel zahlte keine Steuern, verwaltete die beiden Länder ziemlich selbstständig, die Bauern hatten eh' nichts zusagen, im Landtag hatten alle Städte zusammen eine Stimme (jedes der 52 Komitate hatte ebenfalls eine). In Kroatien tagte der Sobor, der Landtag des kroatischen Adels, natürlich blieb die Militärgrenze ausgenommen, die nicht abgeschafft wurde.
Als Vertreter der Krone amtierte der Banus, meistens ein auch Wien genehmer ungarischer Magnat, die Vertreten der kroatischen Komitate nahmen an den Sitzungen das ungarischen Landtages teil, wo sowieso lateinisch geredet wurde (Manche Leute fuhren extra nach Italien, um Cicero sich im Grabe umdrehen zu hören).
Süddalmatien blühte unter venezianischer Verwaltung kulturell auf, wovon wir uns persönlich überzeugen konnten.

Als Friedrich der Große Österreich angriff (1740), schrien in Pressburg Ungarn wie Kroaten begeistert "vitam et sanguinem" und meinten das Blut ihrer Leibeigenen (Manche sollen halblaut hinzugefügt haben: "Aber nicht unser Getreide"). Laut Verfassung war der Adel verpflichtet, die Waffen zu ergreifen - nach damaligen Sprachgebrauch einen Adelsaufstand, insurrectio, durchzuführen -, wenn der Feind die ungarischen Landesgrenzen überschritten hatte. Dies geschah nur einmal, 1809, als die Armee Napoleons die ungarische Grenze überschritt und endete mit einem vollkommenen Fiasko, - etwa so der Versuch des spätrömischen Kaisers Caracalla, die jahrhundertelang exerzierenden spartanischen Jugendlichen einmal tatsächlich gegen die Perser einzusetzen (Sparta, wie Athen waren als eine Art „Fremdenverkehrsattraktion“ für reiche Römer nominell unabhängig).
Diese idyllischen Zustände enden nach 1825, als der ungarische Landtag damit begann, das Ungarische als offizielle Sprache einzusetzen. Aber selbst in Ungarn beherrschte sie nur etwa die Hälfte der Bevölkerung (die Adligen in nichtungarischen Gegenden schon selbst kaum), in Kroatien aber so gut wie niemand. In den kroatischen Komitaten und im Sobor führte man das Kroatische ein, dagegen konnte niemand etwas haben, im ungarischen Landtag sprach man weiterhin lateinisch, die Forderung, magyarisch zu reden, wies man als unzumutbar zurück (ganz abgesehen davon, dass man es beim besten Willen nicht gekonnt hätte).
Man begann auch damit, die bisher ziemlich "verwilderte" Sprache bewusst zu pflegen, über eigene Geschichte nachzudenken, also das zu entwickeln, was man Nationalbewusstsein nennt.
Über zwei Sachen waren sich alle Kroaten klar:
1. Man wollte mit Ungarn künftig nichts mehr zu tun haben.
2. Man wollte die Vereinigung des seit 1815 endgültig zu Österreich gehörenden Dalmatiens mit dem Rest des Landes.

Dann gab es zwei Richtungen. Die sog Illyrier (so genannt nach einem längst ausgestorbenen antiken Volk) wollten sich sprachlich und auch politisch dem Serbentum annähern, (das gerade in dieser Zeit begann, sich zuerst in Form eines Vasallenfürstentums vom türkischen Reich zu befreien). Die meisten Kroaten aber wollten eine möglichst weitgehende Autonomie im Rahmen des Habsburgerreiches.

Im März 1848 begann die Revolution in Deutschland, in Österreich, in Italien und in Ungarn. In einer Sache war man sich einig: Man wollte den Absolutismus durch eine konstitutionelle Monarchie ersetzen. Aber dann!
Die Deutschösterreicher wollten einen deutschen Staat und schickten Abgeordnete in die Frank-furter verfassungsgebende Nationalversammlung, die Italiener wollten auch einen Einheitsstaat und begannen einen bewaffneten Kampf gegen Österreich. Der Landtag in Siebenbürgen verkündete die Wiedervereinigung mit Ungarn.

Am 15 3. 1848 gab es in auch in Pest eine unblutige Revolution. Zuerst hatten die Ungarn Glück. Der letzte ständische Reichstag hatte gerade eine Sitzungsperiode (Das war keinesfalls selbstverständlich, es gab nämlich auch sitzungsfreie Jahre).
Vom Mittelalter her gab es im Land die Würde des "Palatingrafen“ als eine Art Stellvertreter des Königs. Dieses Amt bekleidete lange Zeit der ziemlich zum Ungarntum assimilierte Erzherzog Joseph, der 1847 starb. Dessen junger Sohn, Stephan wurde wie selbstverständlich zu seinem Nachfolger gewählt. Dieser ehrgeizige junge Mann wollte jetzt eine Rolle spielen. Er setzte durch, dass er zum bevollmächtigten Regenten des Königs ernannt wurde (Der König war eigentlich regierungsunfähig, statt seiner regierte eine Hofclique " camarilla" genannt).
Jedoch riss der Landtag das gesamte fast tausendjährige Gebäude des Feudalismus ab (Ebenso gründlich, aber noch schneller wie die französische Nationalversammlung 1789).
Der Regent ernannte eine aus liberalen Politikern zusammengesetzte ungarische Regierung. Der führende Kopf des neuen Kabinetts war der außerordentlich volkstümliche Politiker und Abgeordnete Kossuth. All diese Maßnahmen begründete der neue starke Mann, für die Zentralregierung in Wien damit, dass man die Ungarn nicht zum Feind machen dürfe, solange in Italien gekämpft werde. Die Kompetenzen der neuen Regierung waren äußerst unklar, vor allem, was die Streitkräfte betraf. Man forderte die Rückführung ungarisch-stämmiger Soldaten ins Land und die Abkommandierung von Soldaten fremden Ursprungs aus dem Land sowie die Unterstellung aller Verbände unter das neugegründete ungarische Vereidigungsministerium, also praktisch die Aufstellung einer Nationalarmee.

In dieser Situation hatten die Deutschösterreicher und die Ungarn viel zu gewinnen und die anderen Nationalitäten viel zu verlieren - umso mehr, als man in Wien annahm, dass das zu etwa einem Drittel deutschsprachige und zum Deutschen Bund zählende Böhmen zum deutschen Reich gehören werde, und dass die Ungarn ebenso selbstverständlich das ganze historische Land von vor 1526 wiederhaben wollten, ungeachtet der Tatsache, dass sie (selbst ohne Kroatien) nur die Hälfte der Bevölkerung bildeten.
Hier setzte die "camarilla" an. In Südungarn und in Siebenbürgen wurden serbische und rumänische Aufstände ermuntert. Kossuth reagierte mit der Organisierung einer ungarischer Nationalarmee.
Jetzt betrat auch der General J. die politische Bühne (Die Schreibweisen sind so verschieden, Ihr wisst schon, wen ich meine). Er wurde von Wien, die Unsicherheiten der Märztage ausnutzend, zum Banus ernannt. In Zagreb verkündete er die Abschaffung der Feudalgesetze in ähnlicher Form wie in Pressburg, sowie die Unabhängigkeit von Ungarn.

In ungarischen Augen war die erste Maßnahme überflüssig, die zweite Landesverrat. Schließlich haben ja die kroatischen Abgeordneten in Pressburg mit abgestimmt, und Kroatien war ein integrierter Bestandteil Ungarns. So drohte der ungarische Verteidigungsminister mit Intervention.
J. stellte eine aufständische Armee auf und überschritt die Grenze. Jetzt war die Lage verzwickt: Offiziell war J. ein Rebell gegen eine vom König eingesetzte Regierung. So verhielt sich die offizielle kaiserliche Armee vorsichtig abwartend und hoffte, dass J. die Angelegenheit alleine bereinigen werde. Das tat er aber nicht, im Gegenteil! Er erlitt im September zwei vernichtende Niederlagen und verließ mit den Resten seiner Truppen das Land. Damit war seine Rolle ausgespielt.
Deshalb ist die Behauptung, J. habe die Monarchie gerettet, barer Unsinn! Ebenso verließ der Graf Palatin, nachdem sein letzter Vermittlungsversuch fehlgeschlagen war, das Land. Den vom Kossuth angebotenen Oberbefehl über die ungarische Nationalarmee wagte er nicht anzunehmen.
(Übrigens haben ihm seine Verwandten seine Rolle nie verziehen, er musste in Darmstadt im Exil leben und durfte nur einmal kurz zur Taufe des Kronprinzen nach Wien.)

In Wien gingen jetzt die Ereignisse weiter, am 3.10 brach als letztes Aufflammen der deutschen Revolution in der österreichischen Hauptstadt eine Revolution aus. Die kaiserliche Armee zog sich aus der Stadt zurück und belagerte sie.
In einem Anflug von Übermut versuchte die ungarisch Armee, die Stadt zu entsetzen, erlitt aber eine Niederlage (7.10.). Bald darauf hin wurde die Stadt eingenommen. Jetzt waren die Fronten klar, Ungarn auf der einen, Kaiserliche auf der anderen Seite. J. selbst wurde mit großen Langgeschenken bedacht, aber politisch kaltgestellt. J.'s Freikorps durften allerdings auch ohne ihn weiter mitmachen. Die sonstige Lage wurde auch klar, in Italien siegten die Österreicher, und am 1.12.1848 trat der Kaiser zugunsten seines Neffen Franz- Joseph zurück (Er wird bis 1916 regieren). Bis Januar 1849 besetzte die österreichische Armee Westungarn, ohne allerdings die ungarische Armee entscheidend zu treffen. Diese wurde im Winter neu organisiert und besiegte und vertrieb in einer Serie glänzender Siege den Feind und trieb ihn außer Landes. Daraufhin reiste der junge österreichische Kaiser nach Warschau, traf dort den russischen Zaren, küsste ihm die Hand (wörtlich gemeint), und bat um Waffenhilfe. Diese wurde ihm gewährt. Eine riesige russische Armee wälzte die ungarische nieder, die am 11.8.1849 kapitulierte. So kommt das Verdienst (wenn es ein Verdienst ist), die Monarchie gerettet zu haben, dem Zaren Nikolaus I. zu, und nicht Herrn J.:

Danach bekamen alle Völker der Monarchie das Gleiche, manche als Strafe, manche als Belohnung: Der neue Innenminister, Alexander Bach, ein ehemaliger Revolutionär, egalisierte. Er schaffte überall die Leibeigenschaft ab, beseitigte die mancherorts (auch in Österreich) noch existierenden adeligen Ständeversammlungen, modernisierte Justiz und Verwaltung und förderte Industrie und Eisenbahnwesen. Jetzt gab es Niederlassungs- und unternehmerische Freiheit, mit anderen Worten: alle wurden gleich und einigermaßen wohlwollend behandelt, wenn auch als politisch rechtlose Staatsuntertanen. Die Kroaten kamen mit der neuen Ordnung der Dinge besser zurecht als die Ungarn: Sie gründeten Firmen, waren keine Leibeigenen mehr. Die Ungarn beklagten ihre Gefallenen und hingerichteten "Freiheitshelden" und lehnten den Staat im Bausch und Bogen ab.
Nach einem verlorenen Krieg gegen Frankreich und Piemont musste das Regime einlenken, Bach wurde entlassen und nach einem halbherzigen, von den Ungarn wütend bekämpften Versuch, so etwas wie einen gesamtösterreichischen Parlamentarismus einzuführen, kam es nach einem zweiten verlorenen Krieg - diesmal gegen Preußen - zum "Ausgleich" von 1867.
Ungarn wurde als eigenständiges Königreich wiederhergestellt, bekam eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament. Aber Außenpolitik und Verteidigung blieben gesamtstaatliche Angelegenheit. Das bedeutete, dass bis auf das Budget, das von sechzigköpfigen "Delegationen" beider Parlamente einigermaßen kontrolliert wurden, sie reine Domäne des Herrschers blieben. Dafür musste man andere Zugeständnisse machen: Siebenbürgen wurde wieder mit Ungarn vereinigt, (von 1850 bis 1866 waren sie getrennt), und Kroatien kam wieder zu Ungarn.

Auf den "großen" Ausgleich von 1867 folgte ein "kleiner", der von 1868. Kroatien erhielt seinen Sabor wieder, wurde autonom in kulturellen Angelegenheiten, die kroatischen Abgeordneten durften ihre Muttersprache im Budapester Parlament benutzen (die sonst sowieso niemand verstand), aber sonst galten die ungarischen Gesetze auch in Kroatien, und der Banus kam wieder.
In den Augen der Kroaten war dies trotzdem eine Art Vertrag zwischen zwei Staaten, in den Augen der Ungarn bestanden einige Sonderrechte für einen Landesteil. Diese Frage konnte nie geklärt werden, weil eine verbindliche Verfassungsgerichtsbarkeit (wie in fast allen konstitutionellen Monarchien) fehlte.
Als kleines Versöhnungsgeschenk erhielten die Ungarn noch die Hafenstadt Fiume, heute Rijeka, eben als Hafen für das schöne neue Königreich. Es wurde aber nicht zu Kroatien geschlagen, sondern direkt von Budapest aus durch einen Gouverneur verwaltet. Das so gegründete Staatswesen war wunderbar kompliziert konstruiert und bildete das Entzücken aller Staatsrechtler, hatte aber den einen Fehler: die Bevölkerungsmehrheit war nicht mit ihm einverstanden (Im Kaiserreich Österreich noch weniger, weil dort die Deutschösterreicher so taten, als wären sie das alleinige Staatsvolk. In Österreich führte man ehrliche Wahlen durch und man bekam absolut arbeitsunfähige Parlamente mit tumultartigen Sitzungen und musste mit Notstandsgesetzen regieren).
In Ungarn erhob man den Wahlbetrug zu einer allseits stillschweigend akzeptierten staatserhaltenden Institution. Zu guter Letzt machte noch der langjährige Banus, Khuen- Héderváry, der übrigens den Wahlbetrug noch unverschämter praktizierte als im eigentlichen Ungarn (Na erinnert sich einer noch an ihn? Den Namen habt Ihr doch gehört). Er entdeckte die kroatischen Serben als "staatstragendes Element" und besetzte bevorzugt Polizisten und kleine Beamtenstellen mit ihnen. Dies schürte die Animosität der kroatischen Mehrheit gegen sie.
1878 kam noch ein slawisches Land zur Monarchie: Bosnien. Denn der Berliner Kongress beauftragte die Monarchie, diese ärmste und rückständigste Provinz des sowieso armen und rückständigen türkischen Reiches in dessen Namen zu verwalten. Das taten die braven österreichischen Beamten gar nicht einmal erfolglos. Als es aber 1908 in der Türkei so etwas wie eine Revolution und Wahlen gab und man aus Bosnien Abgeordnete nach Istanbul schicken wollte, musste man diese Fiktion fallen lassen und das Land direkt annektieren (einverleiben), wobei der rechtliche Status bis zum Ende er Monarchie unklar blieb. War es nun eine Kolonie, eine österreichische Provinz, ein zweites Königreich? Sollten dort irgendwelche Wahlen stattfinden?

Das Jahr 1918 beendete all diese Sorgen: Serbien, Kroatien, Bosnien, Montenegro und das kleine, eher alpenländisch geprägte, wenn auch slawisch sprechende Slowenien fanden sich in einem neuen Staat wieder, der sich zuerst Königreich S. H-S. nannte (für Serbisch, Kroatisch Slowenisch).
Der neue Staat hatte von Anfang an große Probleme.
Das erste Problem war das Verhältnis zu Italien. Als es nämlich 1915 darum ging, Italien in den Krieg zu ziehen, haben die Westalliierten Italien große Versprechungen gemacht, u.a. die ganze dalmatinische Küste. Diese Versprechungen hat der amerikanische Präsident Wilson des Selbstbestimmungsrechts der Völker wegen wieder rückgängig gemacht. Es blieben Italien davon nur die Stadt Zadar und ihre unmittelbare Umgebung, einige Inseln und ein Teil der Stadt Rijeka übrig. Diese Enttäuschung prägte aber die Haltung Italiens gegenüber dem neuen südslawischen Staat, vor allem nach dem Aufkommen des Faschismus. Die tödliche Gefahr war aber das kroatische Problem. Genauso wie man im alten Österreich keine korrekten Wahlen veranstalten konnte, ging es hier wegen der Fundamentalopposition der Mehrheit der Kroaten auch nicht. Statt Debatten gab es in Parlament Schüsse. So entschloss sich König Alexander am 6.1.1929, die Königliche Diktatur einzuführen: die Parteien wurden aufgelöst, der bisher verbotene Name "Jugoslawien“ offiziell eingeführt und das Land über die Bevölkerungsgrenzen hinweg in Banate aufgeteilt. Dagegen arbeiteten Untergrundbewegungen mit italienischer und ungarischer Hilfe. Im Oktober 1934 wurde der König bei einem Staatsbesuch in Frankreich - zusammen mit dem französischen Außenminister Barthou - ermordet. Sein minderjähriger Sohn Peter wurde offiziell König, dessen Onkel Paul übernahm die Regentschaft.

Weil jetzt Hitler immer mächtiger wurde, schloss sich der Regent nach dem Zusammenbruch Frankreichs dem Deutschen Bündnissystem an. Dagegen putschte das traditionell antideutsche Offizierkorps und provozierte damit einen deutsch-italienischen Angriff.
Kroatien wurde ein faschistischer deutsch-italienischer Satellitenstaat, kommunistische und königstreue Partisanen nahmen den Kampf gegen die Besatzungsmächte auf. Die Letzteren kämpften aber immer mehr gegen ihre kommunistischen Rivalen, manchmal sogar mit den Besatzungsmächten.
Am Ende setzten sich die Kommunisten unter der Führung von Marschall Tito durch. Dieser kündigte dem Ostblockführer Stalin 1948 die Gefolgschaft auf, konsolidierte das Land mit amerikanischer Wirtschaftshilfe, ohne jedoch der amerikanischen Außenpolitik blindlings zu folgen. Im Gegenteil, er schwang sich zu einer führenden Figur der "blockfreien Bewegung" auf. 1955 söhnte er sich spektakulär mit der Sowjetführung, die ihn jahrelang übel verleumdet hatte, aus. Sein Tod erfolgte 1980.
Um die Zeit danach zu schildern, stütze ich mich auf drei Quellen:
1. Die Vorträge unseres Führers
2. auf ein Referat des früheren ARD- Korrespondenten Herrn Brebeck, das er über dieses Thema in Velbert gehalten hat und das in der Velberter Zeitung am 7.5.2011 ausführlich gewürdigt wurde.
3. auf meine eigenen hier leider geringen Kenntnisse.

Da die Vorträge unseres Führers nur mit Titos Tod beginnen, kommt zuerst Herr Brebeck (künftig abgekürzt mit B.) zu Wort.
Nach ihm befand sich Jugoslawien schon zu Titos Tod in einer tiefen Krise. Es habe überall gegoren, die Wirtschaft habe darnieder gelegen und sei inflationär gewesen. Ein Drittel der Bevölkerung sei zu spät zur Arbeit gekommen, ein Viertel gar nicht, und von rund acht Stunden sei nur rund die Hälfte gearbeitet worden. Die Staatsschulden hätten 80 Milliarden Dollar betragen (die heutigen "Pleiteländer" Griechenland, Portugal Irland, sind wirtschaftlich immer noch Riesen im Vergleich zum damaligen Jugoslawien, außerdem ist diese Summe inflationsbereinigt etwa das Anderthalbfache). Nach meinen eigenen Ostblockerfahrungen nehme ich an, dass diese Leute bestimmt woanders fleißig schwarz gearbeitet haben, was sich nicht in der offiziellen Sozialstatistik niedergeschlagen hat, aber der Bevölkerung das Überleben ermöglicht hat. Man ging dazu über, das Geld nicht mehr zu zählen, sondern zu wiegen (Das tun U. S. amerikanische Rauschgiftbosse übrigens auch).
Auf dem Wege zu den Wasserfällen begann unser Führer, (ab jetzt F.) seine Version der Ereignisse zu erzählen. Nach Titos Tod (der Präsident auf Lebenszeit war) wählte jede der Sechs Republiken (Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien) ihren eigenen Präsidenten. Jeder amtierte ein Jahr, hatte aber den anderen gegenüber ein Vetorecht. Ab 1987 habe der serbische Präsident Slobodan Miloschewitsch sein Vetorecht dazu benutzt, die Arbeit des Präsidiums lahmzulegen. Zuerst erklärten die wirtschaftlich gesündesten der Teilrepubliken - Slowenien, dann Kroatien unter dem ebenfalls stark nationalistischen Präsidenten Tudman, ihre Unabhängigkeit. Die EU unter der Leitung von Genscher und den USA preschten vor. Nach übereinstimmender Ansicht von B. wie F. zu früh. Am schnellsten endet die Sache in Slowenien. Dort führt die jugoslawische Armee (die gab es noch), wie der Korrespondent schrieb, kurze Zeit "mit angezogener Handbremse Krieg", dann sah auch Miloschewitsch ein, dass er über die Köpfe der Kroaten gegen Slowenien nichts vermochte und entließ das Land in die Unabhängigkeit.

Anders in Kroatien. Dort gab es Kroaten und Serben. Erinnert Ihr Euch noch an den guten alten Khuen Héderváry? Er ließ in übergroßer Anzahl "staatstreue" Serben in Kroatien Beamte werden. Das änderte sich in Jugoslawien erst recht nicht. Der Kroate war oft der Selbstständige, der Serbe der Beamte und der Polizist, der den Wohlhabenderen schikanierte oder sich bestechen ließ. Außerdem fürchteten sich auch viele serbische Kleinbauern davor, von den Kroaten unterdrückt zu werden. Miloschewitsch sagte etwas sehr Kluges: "Überall, wo es Serben gibt, ist Serbien“. Tudman, sein kroatischer Gegenspieler, sagte es zwar nicht, handelte aber nach dem Motto: "also sorgen wir dafür, dass es bei uns nirgends Serben gibt." Die erste Runde ging trotzdem an Miloschewitsch. Bewaffnete serbische Freischärler fielen in Kroatien ein, besetzten in grausamen, auch Zivilsten nicht verschonenden Kämpfen fast ein Drittel des kroatischen Territoriums und erzwangen einen Waffenstillstand, der diesen Zustand sanktionierte. Da machten die Serben einen Fehler. Sie griffen nicht nur in Ostslawonien an, sondern von Montenegro her auch die Kulturdenkmalstadt Dubrovnik. Dies empörte die Weltöffentlichkeit. Die USA griffen ein. Sie versprachen, laut B., Serbien mit modernster Waffen aufzurüsten, wenn Tudmann die Kämpfe in Bosnien gegen die dortigen Moslems einstellt (darüber unten mehr). So hielt Tudman in Brioni (!) mit seinen Generälen eine Konferenz ab und beschloss den Angriff ( Er ließ ich wohl vom Geist des Ortes, genius loci für einen katholischen Kroaten, inspirieren). Schon die Drohung mit modernsten amerikanischen Waffen wirkte. In drei Tagen waren die Grenzen Kroatiens wiederhergestellt. Jetzt flohen viele Serben. Viele mögen wohl auch persönlich ein schlechtes Gewissen gehabt haben (Erst in der letzten Zeit scheinen sich die Dinge zum Besseren zu wenden. Ein Serbe wurde in Kroatien Flüchtlingsminister und er bemüht sich um die Reintegration der Flüchtlinge).

Jetzt kommen wir zu einem noch traurigeren Kapitel - Bosnien. Hier gab es gleich drei verschiedene Völker oder Religionsgemeinschaften, was im ehemaligen Jugoslawien leider ein- und dasselbe war (und ist): Serben, Kroaten und Muslime. Die Entstehung der muslimischen Gemeinde ist Religionsgeschichtlich nicht uninteressant. Im byzantinischen Reich entstand, wohl unter persischem Einfluss, eine Lehre, die von radikaler Dualität der Welt, Gut gegen Böse, ausging. Obwohl verfolgt, verbreitete sie sich in das benachbarte Bulgarien. Von da aber, einem unterirdischen Fluss im Karst gleich, nach Südwestfrankreich, - Albigenser - und eben nach Bosnien. Hier nannten sich ihre Anhänger Bogumilen (wohl vom slawisch bog - Gott). Bei der türkischen Eroberung traten ihre Anhänger (hauptsächlich Adlige) geschlossen zum Islam über und wurden von den neuen Herren bevorzugt, was ihre Beliebtheit bei der üblichen Bevölkerung nicht gerade steigerte. Trotzdem, alle drei Bevölkerungsgruppen machten zuerst im Aufstand gegen die Türken, dann beim Widerstand gegen Österreich mit. Nach der Niederschlagung dieses Aufstandes erlebte Bosnien die besten Jahrzehnte seiner Geschichte seit dem XIV. Jh. Dies änderte sich im neuen Jugoslawien. Erstens war der neue Staat beim besten Willen nicht fähig, die gleichen finanziellen Opfer zu bringen wie das Habsburgerreich, zweitens begannen die Serben sich als Herrenvolk aufzuspielen, wobei die Muslime merkten, dass sie am schlimmsten daran waren, weil sie sich auf keine Volksgruppe außerhalb der bosnischen Grenzen stützen konnten. Unter Tito war Nationalhader offiziell verboten. Da Religiosität auch nicht gut angesehen war, waren die bosnischen Muslime die einzigen, die sich bei den Volkszählungen einfach als "Jugoslawen" deklarierten. So kam das verhängnisvolle Jahr 1991. B. schilderte, wie erschrocken er war, als der später zum unglückseligen Ruhm gekommene Karadschitsch (Ich versuche die kyrillisch geschriebene Namen, gestützt auf meine halbvergessenen Russischkenntnisse, ungefähr so zu transkribieren, wie sie gesprochen werden) drohend sagte: Wenn Ihr den Krieg wollt, könnt Ihr ihn haben. Danach wurde die unter Tito verbotene serbische Nationalhymne gespielt. Und sie bekamen ihn, den Krieg, die unglücklichen Völker!

Zuerst machten die Serben einen riesigen strategischen Fehler. Sie boykottierten die Volksabstimmung über die Unabhängigkeit. Die anderen stimmten zu ( Die Kroaten natürlich in der stillen Hoffnung eines späteren Anschlusses an Kroatien). Dann kamen, wie schon in Kroatien, die serbischen Freischärler, und der Krieg begann. Hier in Bosnien war die Lage aus zwei Gründen schlimmer. Es gab drei Lager: Muslime und Kroaten waren offiziell verbündet, was sie nicht daran hinderte, in Mostar einen zerstörerischen Krieg gegeneinander zu führen. Vom F. erfuhren wir, dass die beiden Ehrenmänner Miloschewitsch und Tudman sogar den Plan hegten, Bosnien unter sich aufzuteilen. Laut B hielt nur das Versprechen einer massiven amerikanischen Waffenhilfe die Kroaten davon ab (siehe oben).
Zweitens verwilderte hier der Krieg noch mehr. In Kroatien gab es auch Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung. Aber sie waren offiziell verpönt, eher das Werk wildgewordener Zivilisten oder undisziplinierter Soldaten und wurden von den eigentlichen Armeen sogar nach Möglichkeit verhindert. Hier waren Mord an wehrlosen Zivilisten, Frauen und Kindern, demütigende Vergewaltigungen von Frauen ein wie selbstverständlich angewandtes und anerkanntes Mittel der Kriegsführung, vor allem mit dem ehrenwerten Ziel der "ethnischen Säuberungen". Auch wenn alle Seiten sich etwas haben zuschulden kommen lassen - die meisten Opfer hatten die Muslime zu beklagen. Wie bekannt, haben ausländische Mächte durch Vermittlungen, finanziellen Lockungen, aber auch mit Drohungen diesem Zustand ein leider immer noch unsicheres Ende bereitet.
Uff! Das ist der Stein, der mir vom Herzen fällt, weil wir nicht im Kosowo waren und ich darüber nichts schreiben muss.


Und jetzt das eigentliche Reisetagebuch: 19. 4. 2011 Zagreb

Auf zur Eroberung Zagrebs! Bei diesem Feldzug hatten wir gleich einen neuen General! In jedem der 22 Bezirke muss ein lokaler Führer die Besichtigung leiten, obwohl unserer dies ebenso gut gekonnt hätte. Der erste war ein älterer kenntnisreicher und sympathischer Herr. Zuerst sahen wir aus dem Busfenster das k.u.k. Viertel der Stadt. Mag sein, dass es offiziell nicht so heißt, der Name passt aber irgendwie. Imposant war die ehemalige Stadtbibliothek, jetzt Staatsarchiv, ein riesiges imposantes Gymnasiumsgebäude, (ein solcher Bau hätte mich so eingeschüchtert, dass ich dort weder Schüler noch Lehrer hätte sein mögen.) Das braucht man heute auch nicht, da es jetzt ein Museum ist, zusammentragen von einem Privatsammler, von Herrn Mimara. Unser Dumont- Reiseführer spricht höflich von "Kunstwerken unterschiedlicher Qualität". Die Stadt hat natürlich auch ein offizielles Kunstmuseum, gegründet vom Bischof und "Ungarnfresser " Stossmayer.
(Vielleicht wollte der seinen deutschen Namen durch glühenden Nationalismus kompensieren?)
Es grüßten uns noch die alte Universität und die Oper, die wie eine kleinere Schwester der Wiener Oper wirkte. Es werden dort Opern wie Prosatheaterstücke gespielt, bei unserer Ankunft gerade Wagner. Zu einem getrennten Nationaltheater und Opernhaus wie Budapest hat es Zagreb bis jetzt also noch nicht gebracht. Ätsch! Kein Wunder, sie wurde von denselben Architekten gebaut.
Nachdem wir das alles vom Busfenster aus bewundert hatten, hieß es: „Aussteigen! Auf zum Friedhofsbesuch!" Es war der Friedhof Mirogoj, von außen durch eine imposante, mit Kuppelreihen geschmückte Mauer getrennt. Auf der anderen Seite befinden sich die einheitlich aus schwarzem Marmor errichteten Prominentengrabmäler: Wissenschaftler, Künstler, Politiker. Man wird als Angehöriger eines kleinen Volkes doch nachdenklich. Berühmt, aber außerhalb des eigenen Landes kennt sie niemand. Vielleicht bildet der Politiker und Führer der kroatischen Bauernpartei, Radic, eine Ausnahme. Dessen Ermordung in einer Parlamentssitzung bildete den unmittelbaren Anlass zur Einführung der Königsdiktatur. Nach dem Ausstieg der Aufstieg! Zum Kathedralenhügel! Gegenüber sieht man Reste der alten Verteidigungsmauern.

Obwohl Zagreb eine alte Stadt ist, gibt es dort überraschend wenige wirklich alte Denkmäler. Die Kathedrale ist vom Ungarischen König László (Ladislaus) dem Heiligen (1077-1095), gegründet und seinem Vorgänger, dem anderen heiligen ungarischen König Stephan, gewidmet. Wie viele Kirchen im Mittelalter romanisch begonnen, gotisch fortgesetzt. (Es wäre nicht überraschend, wenn sich darunter auch noch ein heidnisches Heiligtum verbärge). Leider wurde sie nach einem Erdbeben 1880 so stark neugotisch restauriert, dass sie wenig wirklich Interessantes bietet. Im Inneren befindet sich das Grabmal des Bischofs Stepanic. Wenn je jemand den Beinamen "ein seltsamer Heiliger" verdiente, dann ist es diese Person. Eng liiert mit der klerikal-faschistischer Ustascha-Diktatur (obwohl laut eigener Aussage 7000 Personen das Leben gerettet haben soll), wurde er unter Tito zum Gefängnis verurteilt, später unter Hausarrest gestellt, 1998 aber selig gesprochen. Es ist eine Tragödie, dass auf eine Diktatur gleich eine andere folgte. So sind für viele Balten die baltischen SS-Leute, die gegen Stalin kämpften, der ihre Landsleute massenweise nach Sibirien deportierte, Helden.
Oder - was war für Deutschland 1945: Niederlage oder Befreiung? Aber "heilig" ist für diese Persönlichkeit doch zu viel. Neben dem Sarg ist im Kircheninneren noch sehenswert eine Kanzel von 1696 und einige Fresken aus dem XIV. Jh., nicht durch ihren künstlerischen Wert sondern durch ihr für diesen Teil der Welt seltenes Alter.

Im XVIII. Jh. gab es in Österreich in vielen Städten Pestepidemien. Irgendwann hörten sie aber auf. Wenn sie aufhörten, baute man für die Jungfrau Maria eine schöne Dankessäule. Eine solche steht in Wien und auch in Zagreb. Eine solche stand auch in Prag, wurde aber im November 1918 zerstört, als Tschechien die Unabhängigkeit errang. Das Volk von Magister Hus reagierte eben anders als die katholischen Kroaten. Neben der Kathedrale erhebt sich fast drohend auch als Zeichen von weltlicher Macht und Einfluss der Palast des Erzbischofs. Und wenn wir schon bei Macht und Einfluss sind: Ein heute zugepflastertes Bächlein trennte zwei Macht- und Einflussbereiche. Es trennte die Bischofsstadt von der Bürgerstadt. Hier wurde im Zeichen der christlichen Nächstenliebe manche blutige Fehde ausgetragen.
Wenn man weiter zum Markusplatz aufsteigt, kommt man zur Markuskirche. Unterwegs sieht man das Denkmal des Heiligen Georg. Mit seiner waagerecht gerichteten Lanze erinnert er eher an Don Quijote.

In der ganzen Gegend gibt es zahlreiche gemütliche Cafés, wo es aber laut unseres örtlichen Reiseführers nur Getränke gibt, nicht einmal Kuchen.
Am Steinernen Tor gibt es ein Marienbild, das beim Erdbeben von 1731 nicht zerstört wurde und sich seitdem hoher Verehrung erfreut. Es ist interessant zu beobachten, wie vorsozialistische Ideologien den Sozialismus überlebt haben. Der Katholizismus blüht und gedeiht in Kroatien, und in Jugoslawien wurden aus den dem "sozialistischen Internationalismus" verpflichteten Generälen glühende Chauvinisten.
Am Markusplatz steht die Markuskirche von Zagreb. Sie stammt aus dem XIII. Jh., also vermutlich gotisch. Das Wichtigste ist aber das Dach! Es zeigt in wunderbar bunten Dachziegeln das heutige Wappen Zagrebs (weiße Burg auf rotem Hintergrund) und das historische Wappen des dreieinigen Königreiches Kroatien, Slawonien und Dalmatien.

Und jetzt eine Geschichte aus Venedig des XVI. Jh's: Der reiche Condottiere Colleoni (das waren Leute, die Privatarmeen unterhielten und die an Staaten vermieteten) bestimmte testamentarisch, dass er gegen Hinterlassung seines ganzen Vermögens an die Republik Venedig ein Denkmal vor der Markuskirche haben wollte. Große Ratlosigkeit in Venedig. Die Summe war beträchtlich, aber keine Privatperson durfte in Venedig ein Denkmal haben. Und noch dazu vor der San' Marco! Bis jemand auf die Idee kam, man sprach nicht von der San' Marco, nur von der Markuskirche. Man fand in einer Vorstadt eine kleine, ebenfalls dem San' Marco geweihte Kirche, und dort bekam der Mann sein allerdings prächtiges, von Verocchio gemachtes Reiterdenkmal (Vielleicht hat es der eine oder andere von Euch gesehen).

Jetzt eine Kleine Denkaufgabe: In welcher von uns besuchten Stadt hat sich Ähnliches zugetragen, und wie haben dort die Leute reagiert? Der Platz ist auch eine Art Regierungs- und Verwaltungszentrum. Der Amtssitz des Regierungsoberhauptes befindet sich dort (auch eine Dame, wie unser lokaler Führer betonte), ebenso das Gasthaus der Regierung, gegenüber ist das alte Rathaus. Es ist wohltuend, wie wenig Aufwand getrieben wird. Vor dem Ministerpräsidium sahen wir einige (ich glaube es waren drei) Wachen sich in entspannter Haltung miteinander unterhalten. Das weltberühmte Museum der naiven Kunst befindet sich auch dort. Alle anderen Museen sind guter Provinzdurchschnitt, dieses soll einmalig sein.
Dann ging es abwärts, zu Fuß, nicht mit der sündhaft teueren Seilbahn. Wir sahen noch den Lebensmittelmarkt (das ist das Einzige, was ich chronologisch nicht genau einordnen kann) und das Zentrum der Stadt, den Ban-Jelačić-Platz. Ein großer schöner Platz, umgeben von typischen k.u.k.-Häusern voller Menschen mit lebhaftem Straßenbahnverkehr. Inmitten der alte Landesver-räter, von Tito entfernt. (Ich kann nichts dafür, aber dieser Tito ist einem doch sympathisch!) 1991 wieder zurückgebracht, das Schwert nicht mehr noch Norden, sondern südwärts gerichtet (Höchst vernünftig angesichts der albanischen Geburtenrate). Zuerst war ich empört und erschreckt, überall Kerzen, Blumen. Da erfuhr ich dass es eine politische Demonstration war zugunsten eines Unschuldslamms von General, der in Den Haag gerade zu zwanzig Jahren Haft verurteilt wurde.
Wir hätten in dieser Stadt auch drei Tage bleiben können, und die wären wohl auch noch zu wenig gewesen. Es war nicht einmal ein ganzer Tag, aber schön war es!

20. 4. 2011 Plitvicer Seen, Zadar

Wir haben, da wir ziemliche "Reisejückel" sind, Gebäude, Kunstwerke, Stadtbilder, also viel von Menschenhand Gemachtes gesehen, und wir würden uns streiten, welches das Schönste gewesen sei, wenn es überhaupt ein "Schönstes" gab (Also, ich bin immer noch für das Velberter Kulturzentrum, aber das ist wohl eine ausgeprägte individuelle Meinung).

Aber was Naturwunder anbetrifft gibt es nur die Wasserfälle von Plitviz. Es genügten einige vielerorts vorhandene Naturphänomene, um dies zu formen: Wasser, ein poröses Gestein, Mineralstoffe und viel Geröll, aber auf die richtige Mischung kam es an. Das Gestein verschluckte das Wasser, ließ es unterirdisch weiterlaufen, reicherte es mit viel Geröll und Mineralien an und ließ es an einem Berghang wieder zu Tage treten. So fiel das Wasser in Katarakten verschiedener Größe und Aussehen manchmal aus großer Höhe und manchmal kräftig in mehreren bachartigen Stufen. Unten sammelte es sich in Becken verschiedener Tiefe und Breite, um zu einem weiteren Wasserfall zu gelangen. Jetzt kamen die reichlich vorhandenen Mineralien ins Spiel, sie färbten das Wasser je nach Tiefe von einem Giftgrün, das ich noch nie so gesehen habe, bis zu einem hellen fast weißen Blau. Da das Geröll dem Wasser immer wieder den Weg versperrt, sucht es sich ständig neue Wege, so dass sich die Topographie des ganzen dauernd ändert. Dazu kommen Fische, die weder geangelt noch gefischt werden dürfen, so dass sie, wenn sie nicht von größeren oder in Wassernähe doch selten vorkommenden wilden Tieren gefressen werden, friedlich im Bett unter Hinterlassung eines Testaments sterben. Man kann ruhig sagen, dass das Ganze eine Art "Hobbyraum von Mutter Natur” ist, wo sie ständig Neues ausprobiert (Dies ist keine exakte naturwissenschaftliche Darstellung, sondern der kümmerliche Versuch einer Beschreibung). Das Ganze ist mit Pfaden und hölzernen Balkenwegen in Wassernähe sehr gut erschlossen. So machte sich unsere Gruppe auf den Weg, zweigeteilt, die größere unter Martins Führung den längeren und schwereren Weg einschlagend, wir, der kümmerliche Rest, bestehend aus Hella, Schwägerin, Schwager, Frau Irle und mir unter direkter Reiseleitung stehend. Und es war schön! Der von Wanderungen auf den Kanaren gestählte Schwagerbruder hielt natürlich prima mit der anderen Gruppe mit. Aber für uns war es auch schön. Vielleicht, weil wir gemächlich gingen, vor allem viel in Wassernähe, und alles gründlich betrachten konnten. Man versucht sich ja immer zu trösten. Nachdem wir von einem Restaurantbesitzer schnöde abgewiesen worden waren, wir sollten bitte nicht nur eine Kleinigkeit essen, sondern anständig konsumieren, wagten wir das, was der ruhmreichen Armee des Padischah nie gelungen war, den Durchbruch zur Adria - und siehe da, es gelang uns.

Wir kamen in Zadar oder Zara an. Die Stadt war bis zum Ende des II. Weltkrieges eine italienische Enklave (siehe gesch. Einleitung). Aber abgesehen davon, die ganze Küste hat etwas undefinierbar Italienisches. Aber ein Italien der Vergangenheit: keine Bankeingänge, wo jeder wie ein potenzieller Bankräuber behandelt wird, kaum Überfälle (steht sogar im Reiseführer - jedenfalls schreibt es der unsrige). Die Häuserwände sind freundlich hell gehalten, die großen flachen Pflastersteine sind nett zu den Füßen (Wenn man bedenkt mit welchen Marterinstrumenten für Füße und Damenschuhe manche deutsche Städte ihre Straßen für teures Geld pflastern ließen, ist man dankbar). Dazu kam noch das schöne Wetter, die vollen Cafés, die vielen Passanten, das Ganze gab einem ein Hier-ist-immer-Sonntag-Gefühl. Eine hübsche junge Frau, Ortsführerin Nr. 2, empfing uns. Erst führte sie uns zur Erledigung der natürlichen Bedürfnisse (eine weise Maßnahme), dann begann die Besichtigung. Wir machten Halt am römischen Forum. Hier war früher die Ortsmitte, hier stand der Tempel der "römischen Dreifaltigkeit" Jupiter, Juno Minerva. Daneben boten Ladenbesitzer ihre Waren feil (Religion und Kommerz waren immer gute Freunde, man denke im Deutschen an die Doppelbedeutung des Wortes "Messe" und in meiner Muttersprache heiß der Sonntag "Marktag"). Auf dem Platz stehen ziemlich ungeordnet römische Säulenreste herum und zwei schöne Medusengesichter. Die frühere Dreifaltigkeitskirche ist heute nach Sankt Donat benannt.

Ihre Architektur erinnert an die Schlosskapelle in Aachen, man sagt, dass sie nach ihrem Muster gebaut worden sei (Unser Führer - Buch, nicht Person - gibt allerdings San Vitale in Ravenna als Vorbild an, mag sein, dass beide Kirchen nach diesem Vorbild entstanden sind). Der Bau ist Weiß gehalten, imposant, aber von außen wie von innen schmucklos. Der Donat-Kirche gegenüber ist das archäologische Museum - so viele Museen gesehen und in keinem drin gewesen, es läuft einem das Wasser im Mund zusammen. Neben ihm ist die große Maria-Kirche, gebaut vom König Koloman, dem Bücherfreund. Na also, er las und sammelte Bücher, verbot die Hexenverfolgungen, gründete Kirchen - und dann mögen die Kroaten die ungarischen Könige nicht!
Die Kathedrale des Ortes ist nach der heiligen Anastasie benannt. Sie ist mir schon deshalb sympathisch, weil sie so heißt wie meine Großmutter väterlicherseits. Die Heilige war eher bereit, sich töten zu lassen als "ihre eheliche Pflicht zu erfüllen". Wir erfuhren aber nicht, warum. War der Mann kein Christ? War sie zwangsverheiratet? (Auch ein schönes Wort als "Unwort des Jahres"). Jedenfalls ruht sie in einem schönen Grab aus den IX. Jh. Die römischen Säulen, die von früher stammen, sind eindrucksvoll, der Bau selbst ist romanisch.
Ein findiger Architekt kam auf die Idee, das uralte Prinzip der Äolsharfe - die Saiten wurden durch glaslose Fenster zum Tönen gebracht - zu nutzen und eine Meeresorgel zu konstruieren. Sinnvoller ist ein dekorativer Sonnenkollektor, der einen Teil der Altstadt mit Strom versorgt. Im Bus gab es mit F. ein intensives Gespräch. Auf meine Frage hin, ob man in Kroatien auf solche überflüssigen Ausgaben Wert legen sollte (ich wusste noch nicht, dass der Sonnenkollektor nützlich ist) wurde zuerst mit dem Argument "Fremdenverkehr" geantwortet, dann gab uns der Führer einen ernsthaften Überblick über die Lage des Landes. Die Probleme Kroatiens seien

1. Unwirksamkeit und Korruption der Behörden,
2. der ungleiche Entwicklungsgrad der einzelnen Landesteile,
3. die Folgen der Wirtschaftskrise von 2008 und die Angst des Mittelstandes vor dem sozialen Abstieg.
Aber die gesunde Substanz sei da, und eine weitere positive Entwicklung auf lange Sicht gesichert. Herr B. war weniger optimistisch. Er meinte, wenn er Geld zu investieren hätte, würde er es uneingeschränkt nur in Slowenien sowie in einigen Teilen von Kroatien tun (Mit Zagreb und der Küste haben wir gerade diese "Schokoladenseite" gesehen).

21. 4. 2011. Krka Nationalpark, Šibenik, Salona

Hellas Geburtstag. Um 7.30 wurden wir alle zum Schwimmbecken gebeten. Dort wurde das Geburtstagskind beglückwünscht und mit einer Torte geehrt, es war eine reisefähige Schichttorte. Von meiner lieben Schwägerin weiß ich, dass die Herstellung einer solchen langwierig und mühsam ist. Auch in ihrem Namen Danke an Dorle, die diese Mühe auf sich genommen hatte.
Die Abfahrt ging zum Krka Nationalpark. Zuerst genossen wir eine Flussfahrt durch eine fast unberührte Flusslandschaft, dann sahen wir wieder Seen und Wasserfälle. Alles ist ähnlich wie in Plitvice, nur die Wasserfälle sind größer, dafür aber niedriger. Die Seen sind auch größer. Mir schien das Farbenspiel des Wassers auch nicht so intensiv und vielfältig zu sein (subjektiver Eindruck). Mit den beiden Nationalparks verhält es sich ein bisschen so wie mit Petra und Palmyra: Wenn man in Petra war, ist die Bewunderung grenzenlos, wenn man auch Palmyra gesehen hat, relativiert sie sich. Es fehlen auch die hölzernen Balken, wo man direkt bis zum Wasser gehen kann. Dafür aber war der Wirt nett und zuvorkommend und servierte auch kleine Portionen.

Šibenik, die alte Königsstadt, ist berühmt wegen ihrer Kathedrale. Schon die Geschichte, von F. erzählt, ist einzigartig:
Immerhin nach zehn Jahren Arbeit meinten die Bürger, dass das Ganze ihnen nicht gefiel und rissen es ab. Man holte die Baumeister Dalmatinac und Alessi. Sie begannen den Bau im spätgotischen und Frührenaissance-Stil. Nicole Fiorentino führte ihn schon in reiner Frührenaissance fort. Eine dritte Generation, Epigonen, beendete ihn (Die dritte Generation, das sind immer Epigonen). Es bedeutete aber nicht, dass immer gebaut worden wäre. Wenn die Stadt kein Geld hatte, hörte man auf, und die Baumeister machten etwas anderes, wenn Geld da war, kehrten sie wieder und bauten weiter. Man sagt eigentlich von griechischen Tempeln "edle Einfalt stille Größe“, aber hier passt es auch. Mit einfachen glatten Marmorwänden erzielt man eine unglaubliche Wirkung. Die kleinen gotischen Erinnerungen im oberen Drittel der Fenster, aber nur dort, wirken geradezu rührend, heute würde man sagen nostalgisch. Umso mehr springt das Löwenportal ins Auge, die Löwen stammen aus dem romanischen Vorbau, Adam und Eva aus dem XV. Jh. Trotzdem passt es zusammen. Dann sieht man etwas Einmaliges, eine Reihe Charakterköpfe. Ganz normale alltägliche Gesichter, so wie sie heute noch die Stadt bevölkern. Nur die Kopfbedeckungen sind altmodisch. Man weiß nicht, warum sie da sind.

Manche sagen, das sind die besonders edle Spender, manche, es sind die Geizkragen. Da die Stadt kaum Verbindungen zu Lippe hatte, mag wohl die erste Version stimmen. Im Inneren zeigte sich Meister Fiorentino noch von seiner spätgotischen Seite. Am Chorgestühl schuf er noch einen große Formenreichtum. Ebenso in der Taufkapelle. Das Gesicht Gottes ist dargestellt, sehr selten, aber erlaubt, man denke an die Sixtinische Kapelle, vier Engel stehen in den Ecken, dazwischen wuchert spätgotische Dekoration. Der Fürstenpalast (im Reiseplan irrtümlich als Bischofspalast aufgeführt) ist eben schön, in dieser Zeit baute man nicht hässlich.
Schön war auch der Spaziergang durch die Stadt. Aber den Dom, den werde ich nie vergessen, wenn nicht ein schreckliches Schicksal mein Gedächtnis raubt.
Deshalb möge mir sein vielleicht fast so schöner Bruder verzeihen. Ich ging durch Trogir und merkte nichts. Es wäre unredlich, aus dem Reiseführer abzuschreiben. Jetzt, wo ich doch nachgelesen habe, sehe ich, was mir alles entgangen ist. Ich habe es gesehen, aber nicht wahrgenommen.

Bei den Römern werde ich doch wach. Als wir zur Stadt Salona kamen, war ich wieder einiger-maßen aufnahmebereit. Deren vor den Barbaren fliehende Einwohner suchten später im Diokletianspalast Asyl. Es hätte den alten Christenverfolger bestimmt geärgert, dass ausgerechnet eine frühchristliche Kirche, noch im römischen Basilikastil, am Rande der Stadt gut erhalten ist. Um sie herum Säulenreste, andere Trümmer wie in Zadar, unter anderem zwei sehr gut erhaltene Medusenköpfe. In Zadar haben wir samt Führerin noch herumgerätselt, wer sie sein könnten, manche tippten auf Jupiter, hier haben wir sie eindeutig identifiziert (aber zu Stein erstarrt vor ihrem Anblick ist keiner). Wenn man weiter geht, sieht man von einem Hügel aus auf die Grundmauern der öffentlichen Gebäude, die damals zu einer römischen Provinzhauptstadt gehörten: Forum, Amphitheater und ein Theater für immerhin 20000 Besucher. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Diokletian in dieser Stadt oder zumindest in der näheren Umgebung geboren ist.

22. 4. 2011. Split

Fahrt zum Altersruhesitz des Kaisers Diokletian (hoffentlich wisst Ihr noch, wer das war).
Das, was man in allen dalmatinischen Städten merken kann, nämlich das Es-ist-immer-Sonntag-Gefühl spürt man hier besonderes stark. So waren wir gut gelaunt bereit, die bescheidene Rentnerwohnung des (dort schon ehemaligen) Herrschers in Augenschein zu nehmen. Eine hübsche energische, kenntnisreiche und echt lokalpatriotische Frau sollte uns dabei behilflich sein (aber lokalpatriotisch waren sie alle, niemand leierte etwas herunter, bei allen hatte man das Jetzt- zeige-ich-den-Fremden-meine-Stadt-Gefühl).
Zuerst einige Informationen: Der Bau diente auch anderen ehemaligen Herrschern als Alterssitz. Der letzte sollte Julius Nepos sein, “der letzte Herrscher des Weströmischen Reiches" - das ließ mich stutzen. Als Dürrenmatt-Fan dachte ich, das sei doch Romulus Augustulus gewesen. Julius Nepos war tatsächlich der letzte legitime Herrscher Westroms. Der wurde aber von seinem Heer-meister (Oberbefehlshaber) gestürzt, der seinen unmündigen Sohn, eben diesen Augustulus Romulus, als Kaiser einsetzte. Nepos floh daraufhin zum damals zu Ostrom gehörenden Split, wo er im Exil vom oströmischen Kaiser Zenon als legitimer weströmischer Kaiser anerkannt wurde. Leider wurde bald daraufhin Zenon selbst abgesetzt, und die beiden Thronräuber erkannten sich gegenseitig an. Trotzdem überlebte Nepos den Untergang des Weströmischen Reiches (476) und wurde 480 doch ermordet (Na, seid Ihr jetzt klüger?). Mann, das ging damals zu wie heute bei der F.D.P.!

Der Bau hatte ursprünglich einen einfachen Plan. Während man im ganzen Mittelmeerraum Arenen, Amphitheater, Tempel, Paläste, richtige Theater findet, die einander zwar nicht gleich, aber ähnlich sind, handelt es sich hier um etwas absolut Einzigartiges. Dies erhöht sich noch dadurch, dass sich hier im Mittelalter eine richtige Stadt "eingenistet" hat. Diese Tatsache verbietet natürlich auch eine vollständige Freilegung und Restaurierung. Das ganze war eine Mischung aus Legionslager, römischem Palast und hellenistischem Landsitz (villa). Er war quadratisch und ummauert wie ein auf die Dauer errichtetes Legionslager. An den Mauern standen Wehrtürme, von denen die Ecktürme die größten waren. Es öffneten sich vier Tore, nach Metallen benannt (golden, silbern, kupfern, eisern). Ein cardo und ein decumanes überquerten das Gelände. Im südwestlichen Teil befanden sich die Gemächer des Kaiser, die Bäder (Der alternde Kaiser hat wohl die Stelle auch wegen der heißen Quellen gewählt). Daneben servierte man. Östlich davon war der Jupitertempel, sozusagen die kaiserliche Hauskapelle, daneben das Mausoleum. Im nördlichen Teil des Gebäudes befanden sich die Amtsstuben der Beamten, die Unterkünfte der Dienerschaft, die Quartiere und Werkstätten der Wachen. Logischerweise gelangte man aus diesen Räumen in die Keller. Im Gegensatz zu unseren modernen Armeen war die römische Armee viel mehr "Selbstversorgerin". Soldaten schmiedeten Waffen, stellten Schuhwerk und Kochgeschirr her, woben und schneiderten ihre Uniformen, brannten ihre Ziegel und versahen diese mit ihren Legionszeichen und bauten daraus ihr Kastelle (So etwas hätte wohl Herr Schäuble auch gern).
Was blieb aus den römischen Resten übrig?
1. Die äußeren Befestigungswerke,
2. der Jupitertempel,
3. die Katakomben,
4. das Mausoleum,
5. Die Kellerräume.

Wie schon angedeutet, gibt es hier zwei Standpunkte: Soll man behutsam restaurieren, was hier natürlich auch schon wieder Altgewordenes abreißen bedeutet?
Oder soll man alles so lassen, wie es ist? Unsere Führerin war unbedingt für die zweite Lösung und beklagte, dass auf UNESCO-Druck Häuser und Ladenlokale abgerissen wurden, um Mauern sichtbar zu machen. Die Tatsache, dass man durch die ganze Palastanlage vom Gemüse- zum Fischmarkt gelangen kann, fand ihre Zustimmung. Natürlich hat sich an den Mauern doch vieles verändert. Sakralbauten (Kirchen, Klöster), die teilweise heute Ruinen sind, wurden errichtet, Zinnen dienten als Verstärkung. Natürlich beeindrucken solche soliden römischen Bauwerke immer. Aber warum musste man einen solchen Wohnsitz ziemlich weit von der Grenze überhaupt so befestigen? Irgendwie spürt man schon einen Hauch des Mittelalters, wo viele kleine Ansiedlungen schon befestigte Herrschaftsgebiete waren. Das ist schon in der Zeit der Babareneinfälle, als die Städte hastig ihre Römermauern bauten, auf die sie heute so stolz, die aber eigentlich ein Zeichen der Dekadenz sind (Noch ganz solide baute der schon erwähnte Kaiser Aurelian 271- 275 um Rom Mauern, die in den letzten Kämpfen um die Einigung Italiens 1870 noch eine Rolle spielten).

In der Blütezeit gingen die Städte - so wie heute auch - allmählich in die ländliche Gegend über. Dieser Eindruck der Dekadenz wird noch verschärft, wenn man vom Schicksal des letzten prominenten Bewohners erfährt. Vor den Mauern dräut das riesige Denkmal des Bischofs Ninski, am Sockel glagolische Buchstaben. Er war ein großer Vorkämpfer der kroatischen Sprache und dieser Schrift. Dies ist die Schrift, die unter Berücksichtigung der phonetischen Eigenheiten der damals ziemlich einheitlichen slawischen Sprache vom Slawenbekehrer Kirill konstruiert wurde. Die heute so genannte Schrift heißt nur zu seinen Ehren so, und ist praktisch griechisch in der damals praktizierten Form (Das moderne Griechisch kehrte zu der alten Form zurück).

Der Jupitertempel, hier atmet man mehr Altrömisches. Mit Mauerwerk und Kuppel erinnert er im Kleinen an die großen Tempel Roms. Er steht auf einem hohen Podium und wendet sein Portal mit reicher Dekoration dem Mausoleum zu. Es steht eine recht moderne Heiligenfigur dort, ich habe aber nicht herausfinden können, welche. Durch die dunklen Katakomben sind wir nur hindurch geführt worden, um in das Mausoleum zu gelangen.

Das Mausoleum ist das am besten erhaltene oberirdische Gebäude des Palastes. Es hatte das "Glück", in eine Kathedrale umgewandelt zu werden, eine der kleinsten, aber schönsten Dalmatiens. Genau wie die Einwohner von Salona flüchtete der Schutzpatron der heilige Domnius nach Split, wo nun das ehemalige Mausoleum seine Kathedrale ist. Auf einem achteckigen Podium steht ein ebenfalls achteckiges Oktogon.
24 Säulen aus vierundzwanzig verschiedenen Materialien, was unterschiedliche Farbschattierungen ergibt, bilden einen Kreis. Die römische Kassettendecke ist größtenteils erhalten. Ein Fries mit Jagdszenen des Eros und die Portraits des Diocletian und seiner Frau Prisca sind den christlichen Eiferern entgangen. Über Diocletian las ich bei Mommsen, dass wir nicht wüssten unter welchen Umständen er gestorben sei, von seiner Frau und ihrer ebenfalls verwitweten Tochter wissen wir, dass Kaiser Licinius sie ermorden ließ. Der Rest der Einrichtung ist christlich. Der Schutzheilige ruht auf einem frühchristlichen Sarkophag, der von einem spätgotischen Baldachin geschützt wird. Da man es nie bei so einem verdächtig heidnischen Ort wissen kann, hat der heilige Anastasius gegenüber einen Altar, diesmal schon im Renaissance-Stil. Hervorzuheben ist noch das Portal mit 28 Bildfeldern, deren realistischen Stil unsere Führerin betonte. Es kann wirklich alle Vergleiche mit den Werken in Florenz aushalten. Der Rest ist gute Mittelmäßigkeit. Das einzig absolut unverfälscht Römische ist der Keller. Er ist nämlich spät - und auch nur teilweise - ausgegraben worden. Einen Teil kann man nämlich nicht ausgraben, weil sonst die Häuser über ihm einbrächen. Hier haben wir die ganze römische Architektur, mit Kuppel, hohen Räumen, wunderbar gearbeiteten Wänden. Die Räume sind ein Erlebnis, auch wenn es dort außer einer vergrößerten Dlocletianmünze (mit seinem Bildnis) und einem Palastmodell nichts zu sehen gibt. Was es sonst noch in Split zu sehen gibt? Etliche schöne Adelspaläste, die im Führer erwähnt sind, gemütliche alte Straßen, Cafés - eine Touristenstadt ohne Aufdringlichkeit und Geldschneiderei. Den Rest des Tages bildete eine zauberhafte, abwechslungsreiche Fahrt bei herrlichem Wetter an der Küste. Zum Abschluss noch lebensgroße farbige Wachsbilder, das letzte Abendmahl darstellend, wohl zum Osterfest hingestellt, kitschig, aber rührend und in die Umgebung passend.

23.4.2011 Mostar

So! Jetzt muss ich wieder Herrn B. das Wort übergeben. Nach seinem Vortrag kam es nämlich zu einer heftigen Attacke seitens eines serbischen Herrn. Der Versammlungsleiter wollte schon die Versammlung abbrechen, Herrn B. reagierte aber ganz gelassen und erklärte, solche Angriffe erlebe er immer wieder. Es ging um das Abkommen von Dayton. Laut Herrn B. waren die Versammlungsteilnehmer öfter daran, die Veranstaltung abzubrechen, (wörtlich: "die Koffer zu packen") so dass der erzielte Kompromiss noch am wenigsten schlecht war. Ein kleiner Einwurf von F. Selbst auf eine Nationalfahne konnte man sich nicht einigen, UNO-Experten mussten sie entwerfen (Hier waren wenigstens Könner am Werk, nach meinem Empfinden ist die Fahne sehr schön). Das Ergebnis der Verhandlungen war kurz gefasst Folgendes:
1. Das ganze Bosnien wurde unabhängig.
2. Innerhalb des unabhängigen Bosnien errichtete man drei Teilstaaten für die drei Religions- bzw. Volksgemeinschaften (Hier ist es leider ein- und dasselbe.)
3. Des weiteren sollte es 22 Kantone mit eigenen Regierungen geben.
Vor dem Bürgerkrieg bildete die ethnographische Karte des Landes ein kunterbuntes Gemisch der drei Gemeinschaften. Als Ergebnis des brutal geführten Krieges entstand ein wesentlich einheitlicheres Bild der Siedlungsgemeinschaften. Das Ergebnis dieser verabscheuungswürdigen Aktionen wurde stillschweigend anerkannt. Es entstand ein riesiger, unwirksamer und korrupter konfessionell rivalisierender Beamtenapparat. Unser Führer erzählte den Witz: Wenn jemand auf der Straße "Herr Minister" ruft, dreht sich die halbe Straße um. So hängt der ganze Staat an der wirtschaftlichen Nabelschnur der internationalen Organisationen, nur die gleichen Organisationen verhindern übrigens den Ausbruch eines neuen Bürgerkrieges. B. meinte, dass der serbische Staat gar nicht die Übernahme der bosnischen serbischen Republik wolle, weil diese ihn wirtschaftlich ruinieren würde (Das gleiche gilt wohl für Kroatien).

So fuhren wir also Richtung Mostar, Hauptstadt von Herzegowina (Der Name kommt aus der ungarischen Form von Herzog, herceg). Dort trafen wir zuerst den Pfarrer der evangelischen Gemeinde. Er schilderte uns als erstes die dortigen praktischen Aktivitäten. Englische Sprachkurse für Anfänger wie Fortgeschrittene, Nähkurse, Kochkurse etc. Den wiederholten Fragen von Martin bezüglich Behandlung von Traumatisierten wich er auffallend aus. Es blieb bei einem vagen Hinweis auf Besuche von Psychiatern. Das Hauptthema bildeten die Schwierigkeiten beim Bau eines Gemeindezentrums. Es war sehr schwer, ein geeignetes Grundstück mit absolut sicheren Eigentumsverhältnissen zu finden. - Dann ging das Suchen nach Sponsoren los. Aber es war gar nichts im Vergleich zu dem Kampf gegen die Bürokratie. Die riesige korrupte Stadtverwaltung zeigte ihre Unfähigkeit. Muslims warfen Christen Knüppel zwischen die Beine und umgekehrt. Nicht einmal Bestechungsgelder halfen. Im Endeffekt schien der kroatische Bischof für das Ganze verantwortlich zu sein. Inzwischen sprangen Sponsoren ab. Bei der gleichen Gelegenheit wurde betont, dass die Kontakte zur muslimischen Gemeinde immer besser würden (Was ja auch das Ziel des Unternehmens ist). Trotzdem zeigte uns unser Gesprächspartner stolz Pläne und virtuelle Bilder. Es ist ihm von ganzem Herzen zu gönnen, dass seine Pläne in Erfüllung gehen.

Martin hat mir dankenswerterweise einige zusätzliche Informationen gegeben, die ich Euch nicht vorenthalten möchte. Die Versöhnungsgruppe "Mladi Most" war auch ursprünglich in Mostar tätig, und wir wollten sie dort besuchen. Aber ihre Arbeit wurde durch den dortigen katholischen Bischof praktisch zum Erliegen gebracht, so dass sie in Sarajewo von "wings of hope" fortgesetzt werden musste, die wir ja ebenfalls besucht haben.
Herr Pastor i. R. Hagedorn berichtete nach einem Besuch bei der Nagelkreuzgemeinde in Mostar, dass auf der Stelle, von wo aus die berühmte Brücke von Mostar zerstört werden konnte, ohne "christliche" Häuser zu zerstören, ein Kreuz als Symbol des Christentums über den Islam errichtet wurde. Die Vertreter der oben erwähnten Gemeinde richteten an alle Christen die Aufforderung, das Kreuz als Symbol des Hasses zu vernichten, während viele Kroaten es an der Brust tragen. Über die besuchte Gemeinde steht in der Länderinformation Südeuropa (hrsg. Kirchenamt der EKD:) "Die Gemeinde ist ökumenisch ausgerichtet, im Vordergrund steht die völkerübergreifende Versöhnungsarbeit." Über die Versöhnungsarbeit mit Moslems, Sinti und Juden berichtet Martin umfassender. Im Gegensatz zu ihm hatte ich aber den Eindruck, dass das Thema "Arbeit mit Traumatisierten" unserem Gesprächspartner unangenehm war und er dieses Thema schnell wechselte.
Die Informationen - Die Gemeinde muss aus den gemieteten Räumen ausziehen, nur ein Franziskanermönch ist katholischerseits zur Versöhnungsarbeit bereit, selbst eine Intervention aus Washington sei nutzlos gewesen - fehlen bei mir. Ebenfalls der Hinweis, dass die Bewohner der Stadt hochgerüstet seien und jederzeit bereit, erneut übereinander herzufallen, was nur die EU verhindern könne.

Am Nachmittag nahm uns wiederum eine junge Dame in Empfang für unsere Stadtbesichtigung. Selbst wenn die Ereignisse, die sich hier abgespielt haben, nicht stattgefunden hätten, würde Mostar einen bedrückend-drohenden Eindruck machen (oder bildet man es sich ein, weil man die Ereignisse kennt?). Die Straßen bieten ein echt orientalisches, eigentlich rein muslimisches Bild mit kleinen Läden und offenen Handwerks-betrieben (kein Wunder, wir waren ja im "türkischen" Viertel, wo natürlich keine Türken wohnen, sondern südslawische Moslems). Wir besichtigten auch eine Moschee. Ein ernüchterndes Bild für den, der die Pracht orientalischer Moscheen kennt. Aber ein Mann verrichtete sein Gebet, unbeeindruckt von gaffenden Touristen. Zum ersten Mal schämte ich mich, ein solcher zu sein. Da wir (H. und P.) es schon kannten, verzichteten wir auf die Besichtigung des "Türkischen Hauses". Auf diese Weise genossen wir eine kleine Führung "privatissime und gratis" mit unserem Führer. Der Anblick des muslimischen Gefallenenfriedhofs mit der immer gleichen Jahreszahl war erschütternd. Es erinnerte an die Gräber der lettischen Kremlwachen mit der Jahreszahl 1936 (die lettische Kremlwache, diese "Prätorianergarde der Revolution" galt - gerade weil sie aus Nichtrussen bestand - als absolut zuverlässig; Stalin war anderer Meinung und liquidierte sie.) Mit dieser wenig erheiternden letzten Erinnerung brachen wir noch am Spätnach-mittag nach Sarajevo auf.

24.4.2011 Sarajewo Besuch bei der "Fundation Wings of Hope".

Dieser Besuch erinnert mich zuerst an den Biologieunterricht meiner Schulzeit. Zu dieser Zeit (1954-55) gab es einen heftigen Kampf zwischen der offiziellen, vom sowjetischen Biologiepapst Lyssenko, und der westlichen Biologie. Über besagten Lyssenko pflegte sich unser Biologie-Lehrer mit feinem Spott lustig zu machen. „Der Vater der sowjetischen Biologie" predigte immer noch die Vererbung der erworbenen Eigenschaften und versuchte sie mit allerlei neckischen Experimente zu beweisen. Man schnitt z. B. Mäusen den Schwanz ab und schaute zu, ob die Schwänze von Generation zu Generation kürzer wurden. Wurden sie aber nicht! Dies (die Vererbbarkeit der erworbenen Eigenschaften) hätte nämlich dem Marxismus sehr gut gepasst. Marx lehrte nämlich, dass der Mensch von Hause aus gut sei, nur der böse Einfluss des "Wolfskapitalismus" mache ihn böse, um überleben zu können. Verändere man also die Gesellschaft im Sozialismus, kämen die ursprünglichen guten Eigenschaften wieder zu Tage, und "der neue Mensch" werde entstehen, was wiederum für das Funktionieren des Kommunismus, so wie Marx ihn erträumt hat, unerlässlich war.

Die westliche Genetik verkündete hingegen folgende Thesen: Die Eigenschaften eines Lebewesens werden durch seine Gene bestimmt. Manchmal verändern sich die Gene, rein zufällig oder unter Einfluss äußerer Faktoren (z.B. kosmische Strahlen). Meistens sind die neuen Eigenschaften schädlich. Manchmal sind sie aber auch nützlich, und wenn sie durch veränderte Umwelt (Klimawechsel) noch nützlicher werden, setzen sie sich durch Vererbung durch, und es entstehen sogar neue Tierarten (aus Flugsauriern werden Vögel). Die moderne Wissenschaft der Genetik versucht sogar solche Veränderungen bewusst zu erzielen. Der französische Biologe Cohen verkündete gar: „Das Ziel der Wissenschaft muss sein, den Menschen aus der Sklaverei des genetischen Zufalls zu befreien." (Martin, wenn Du diese Zeilen liest, was hält die Theologie eigentlich davon?)

Vor einigen Jahren machte man in Holland eine schreckliche Entdeckung. Die Traumata der Kriegsgeneration lebten in Kindern und Enkeln weiter. Die gleiche Entdeckung macht man im ehemaligen Jugoslawien im verstärkten Maße. Also sind erworbene Eigenschaften DOCH vererbbar, aber anders, als Marx sich gedacht hat. (Für diesen Ausflug in die Biologie eine dicke 'Tschuldigung" an alle, die tatsächlich etwas davon verstehen.)

Eine der Hauptaufgaben des von uns besuchten Zentrums ist die Behandlung eben dieser Traumata. Die Leiterin ist eine sehr energische Dame, die, als sie mein Hörgerät und mich relativ weit entfernt sitzen sah, an mich die Frage richtete, ob ich im Schatten sitzen oder gut verstehen wollte. Natürlich wollte ich das zweite, und es lohnte sich! Die erste Aufgabe ist, den kriegsgestählten Vätern überhaupt verständlich zu machen, was Traumata sind und dass ihre Kinder daran leiden. Die Eltern müssen nämlich helfen, und es ist das Beste, wenn sie sich an die Schule wenden. Laut Plan gibt es für Kinder Nachhilfe, Sportgruppen, Werksstätten, für Eltern pädagogische Hilfe und Diskussionsnachmittage mit Kaffee. Sie äußern sich in zahlreichen Formen, unbewusster oder sogar bewusste Verweigerung schulischer Leistungen, auffälliges, sogar schwer erträgliches Benehmen. Alles möglichst konfessionell gemischt. Für schwierige Einzelfälle, Eltern wie Kinder, gibt es sogar individuelle psychologische Beratung. Ein großes Problem bilden die Lehrbücher, die von internationalen Organisationen verteilt werden. Sie stacheln manchmal förmlich zum Rassenhass auf. Als die Dame einen Mitarbeiter einer solchen Organisation darauf aufmerksam machte, bekam sie die Antwort, für den Inhalt seien die Volksgruppen, nicht die internationalen Organisationen zuständig (Ein Kollege, dessen Neffe in der West-Bank bei der dortigen deutschen Vertretung tätig ist, erzählte das Gleiche). Eine andere Problemgruppe seien die "neuen Stadtbewohner": Mitglieder relativ wohlhabender Gruppen, hätten die Ereignisse vorausgeahnt und ihre Behausungen verlassen, Leute aus dem Land rückten nach, oft Analphabeten, die mit den modernen Wohnungseinrichtungen (Bad, Elektroherd, Zentralheizung) nicht zurechtkommen. Dass es für sie auch kaum Arbeit gibt, versteht sich von selbst. Das Schlimmste ist die Abgeschlossenheit und das Misstrauen der Religionsgruppen gegeneinander. Ihre Vertreter in der aufgeblähten Stadtverwaltung versuchen in erster Linie, irgendeine Initiative einer anderen Gruppe im Keim zu ersticken. Auf meine Frage, ob es möglich sei, sich von seiner Gruppe zu distanzieren, bekam ich die Antwort, es sei nicht möglich, das sei eine Art soziales Todesurteil. Noch benachteiligter, wie fast überall, sind die Sinti. Die Leiterin komme aber mit deren Chef gut aus, der, obwohl Analphabet, ein verständiger und intelligenter Mann sei und seine Leute gut in der Hand halte. Es kamen auch einige persönliche Erlebnisse zur Sprache. Sie erzählte, dass sie es als katholisches Flüchtlingskind (das sich ihres Katholizismus aber gar nicht bewusst war) in einer altevangelischen Gegend ziemlich schwer gehabt habe, dass sie das Geräusch einer defekten Zentralheizung, das das Kindheitstrauma der Bombenangriffe in ihr wachrief, buchstäblich zur Schlafwandlerin machte und wie sie ihr farbiges Enkelkind von seinem krankhaften Waschzwang geheilt habe. Als Schlussfolgerung sagte sie: "Wenn ich meinen Garten von einem Muslim, Kroaten und Serben umgraben lasse, habe ich mehr für Völkerverständigung getan als viele Konferenzen mit ihren hohltönenden Phrasen." (Achtung! Zitat nicht ganz genau.)

Nach diesem höchst interessanten Vormittag stand wieder Stadtbesichtigung auf dem Programm. Die Führerin war diesmal eine junge hübsche und kenntnisreiche Dame (das ging nicht immer zusammen), eine Bosnische Patriotin (Höchstwahrscheinlich Muslima, denen bleibt nichts anders übrig als bosnische Patrioten zu sein). Wir fuhren am höchsten Hotel der Stadt vorbei und erfuhren, dass die Amerikaner, die ihre Botschaft in der Nähe hatten, seinen Abriss verlangten, damit man nichts von oben einsehen könne. Als sie das nicht erreichten, bauten sie ihre Botschaft optisch vollkommen abgeschottet (vor einigen Jahren hätte man noch darüber geschmunzelt, heute nicht mehr). Dann grüßte uns das architektonisch imposante, aber doch relativ zwecklose Parlamentsgebäude. Man sagte uns, dass ein riesiges Hotelgebäude für die olympischen Winterspiele 1988 geplant, aber nicht fertiggebaut wurde, und dass es jetzt als Fernsehstudio benutzt wird (zumindest der fertige Teil). Die Stadt hat auch eine elegante Oper (hoffentlich benutzt!), und dann waren wir an unserem ersten Ziel, dem Tunnelmuseum. Ein Videoband zeigte uns, wie die Verteidiger unterhalb des von den Serben beschossenen Flughafens einen Versorgungstunnel bauten und ihn ständig vorm "Absaufen" schützten, um der Stadt das Lebensnotwendige zu sichern. Hier gab es einige Ungereimtheiten. Die Führerin sagte uns, dass über 90% für die Unabhängigkeit stimmten
(Na ja, in seiner guten Zeit schaffte es "Honni" auch). Auf meine Frage, woher denn die Belagerer gekommen seien, gab die Führerin zu, dass die bosnischen Serben die Volksabstimmung boykottiert hatten. Außerdem erklärte uns Herr B., dass das Traurigste für ihn die serbischen Ehemänner gewesen seien, die ihre eigenen Familien mit belagerten.

Danach erhielten wir einen praktischen Anschauungsunterricht in bosnischer Politik. Der Bus fuhr durch einen Zipfel der serbischen Teilrepublik. Grenzsoldaten in ihren nagelneuen Uniformen kontrollierten (schließlich gibt es Grenz- und Zollkontrollen zwischen Hamburg und Schleswig - Holstein auch - oder?!). Unsere Papiere waren ganz und gar nicht in Ordnung. 50 Euro regelten die Sache.

Jetzt stand dem Stadtrundgang nichts mehr im Wege. Zuerst bestaunten wir das "Türkische Haus". "Bestaunen" ist eigentlich zu viel. Es gab dort schöne Teppiche und orientalische Möbel, aber wenn man an Bulgarien denkt, wo es in einem ähnlichen Haus schönere Gegenstände gab, und außerdem der große bulgarische Aufstand von 1877 dort beschlossen wurde, es also auch ein historischer Ort ist, kann man nicht "erste Sahne" dazu sagen. Das "Türkische Haus" steht übrigens im türkischen Viertel, wohl eher "südslawisch-muslimisch" wie auch in Mostar. Interessanter waren die Läden und Werkstätten. In vielen Verkaufsstätten sahen wir aus Gewehrkugeln und Geschosshülsen gefertigte kupferne Gegenstände. Eine Zeitlang war das Losungswort: "Schwerter zu Pflugscharen" in Mode (nach der Statue vor dem UNO-Gebäude). “Geschosshülsen zu Kaffeekannen" ist auch nicht schlecht! Den Mittelpunkt des Viertels bildet ein kleiner Platz mit dem originellen hölzernen Brunnen. Eine Art inoffizielle Grenze des Viertels zu den Bauten aus österreichischer Zeit bildet das Archiv-Gebäude, im Krieg zerstört, heute im Wiederaufbau, wie unsere Führerin stolz erzählte. Mit dem Bau sind zwei Geschichten verknüpft. Der Architekt, der mit der Statik lange Zeit nicht fertig wurde, beging Selbstmord. Ein Hausbesitzer weigerte sich hartnäckig, sein Haus für den Bauplatz zu verkaufen, bis man ihm dasselbe Stein für Stein abtrug und woanders wieder genauso aufbaute. Was mich betrifft, glaube ich an die Geschichte ebenso wenig wie an die (nachweislich falsche) Geschichte des Müllers von Sanssouci. Aber die Tatsache, dass sie überhaupt entstanden ist, zeigt, mit welchen Samthandschuhen die Österreicher ihre bosnischen Untertanen angefasst haben. Man hat beim Brand zwar die wichtigsten Dokumente gerettet, aber die Personalregister sind verloren gegangen (Es handelte sich also auch um eine Art Standesamt). Unweit davon findet man auch eine Stätte österreichischer Fürsorge. Als eine Kaserne gerade fertig geworden war, brach eine Seuche aus. Man brachte die Kranken nach Sarajewo und brachte sie in der damals außerhalb der Stadt befindliche Kaserne unter. Nah genug, um medizinisch versorgt zu werden, weit genug, um nicht andere anzustecken. Wir sahen auch zwei andere Kasernen, die die Soldaten aus eigener Initiative verschieden angestrichen haben, um sie voneinander unterscheiden zu können.

Weiter stadteinwärts kamen wir an einem Luxushotel mit echter "fin de siècle"- Pracht (gemeint ist natürlich das Ende des XIX. J.h). Hier gibt es auch eine (meistens durch Korruption reich gewordene) Oberschicht. Von der Ostbrücke, früher Gavrilo-Princip-Brücke kommend bogen wir in die gleiche Straße ein wie der Fahrer des unglücklichen Kronprinzenpaares, die für den Fahrer aber falsch war. Die Straße war bei dieser Gelegenheit voller Leute. Der Fahrer konnte nur Schritt fahren. Das erleichterte dem Attentäter das Zielen. In einem Glaskasten sieht man noch Fotos vom Prozess. In der Geschichte sind "hätte" und "wäre „verpönt, aber wenn dieses Ereignis nicht stattgefunden hätte, hätte eine an sich ebenso unbedeutende Episode zum Anlass des I. Weltkrieges gedient.

Es bleiben noch die Gotteshäuser zu erwähnen. Wir sahen von außen die Gasi Hure Beg Moschee mit ihrem Uhrturm. Die unter den Österreichern, als die anderen Religionen gleichberechtigt wurden, gebaute neuromanische kroatische Kathedrale. Während an der Moschee lebhaftes Treiben herrschte und und in der Kathedrale gerade ein Gottesdienst zu Ende ging, war es an der Synagoge still. Unsere Führerin erzählte, dass es früher von knapp mehr als fünfzigtausend Einwohnern von Sarajewo mehr als Zehntausend Juden gab, deren Frauen oft geschickte Näherinnen waren, dass heute nur noch ganz wenige Juden dort leben. Ihr prächtiges Gotteshaus diente ihnen als Todesfalle. Hier wurden sie gesammelt und von hier aus deportiert. Heute dienen die Gebäude kulturellen Zwecken, nur einmal im Jahr gibt es dort Gottesdienst.
Am Abend gab es noch etwas sehr Erfreuliches. Wir fuhren mit Taxen zum Privathaus von Frau Minka, wo wir ihre Gastfreundschaft genießen durften. Es gab unter anderem herrlichen rohen Schinken sowieso etwas vom Besten, was das Land an Produkten bieten kann. Danach kam noch eine absolute Köstlichkeit, eine Art Füllung auf flachen runden Auberginenscheiben. Am Ende stiegen wir zur oberen Etage hinauf und bewunderten die nächtliche Stadt. Selbst das relativ unnütze Parlament sah gut aus. Für die meisten beendete ein Getränk in der gemütlichen Hotelbar den inhaltsreichen Abend.

24. 4. 2011 Montenegro: Schwarzer See, Kolašin

Dies war ein Tag der Naturwunder. Um auf die beiden Nationalparks mit ihren Seen und Wasserfällen zurückzukommen, sie waren irgendwie menschlich, fast würde ich sagen vertrauenserweckend. Büsche und Rinnsale, Wasserfälle nicht zu hoch und mit nicht zu viel Wasser, das Bewusstsein, dass es morgens schon anders aussehen kann, es ist also sozusagen ein überdimensionaler Sandkasten oder Hobbykeller von Mutter Natur, alles macht es einem familiär.

Es wurde aber alles anders in den montenegrinischen Bergen. Sie sind tatsächlich dunkel, wenn auch nicht schwarz, bis auf die schneebedeckten Gipfel. Steil in die Höhe ragen die Gipfel. Und darunter die tiefen Schluchten. Wenn man sich vorstellt, mit dem Bus hinunterzurollen, und die Vorstellung kommt einem unwillkürlich, wird es tatsächlich "atemberaubend". Ganz tief fließt das Wasser, und zwar so schnell, dass man es selbst durch das geschlossene Busfenster meint rauschen zu hören. Es fällt einem unwillkürlich der Klischeesatz von "den wilden Schluchten des Balkans" ein (Der großartige französische Schriftsteller Marcel Proust verzweifelte und wollte seinen Beruf aufgeben, als er versuchte eine nächtliche Eisenbahnfahrt durch die verschneiten Alpen zu beschreiben, und was bin ich denn gegen Den? Eines müsst Ihr mir glauben: Ich habe es tatsächlich so empfunden. Außerdem wurde das Wort "majestätisch" vermieden. Ist das etwa nichts?).
Unser Führer erzählte, dass gerade in dieser Gegend im II. Weltkrieg heftige Partisanen-kämpfe stattgefunden haben und dass es Tito gelungen ist, unter Mitnahme der Ver-wundeten den deutschen Belagerungsring zu durchbrechen. Er sprach zwar viel über Politik, vermied es aber, die eigene Meinung zu äußern. Man hat ihn doch eher als einen Anhänger des gegenwärtigen Regimes einstufen können. Aber hier zeigte sich doch die "Tito-Nostalgie". Schließlich gibt es auch in der DDR eine Nostalgie. Beide Staaten hatten vieles gemeinsam. Man war sozial abgesichert, man bekam gesagt, was man tun sollte, und wenn man es tat, wurde man in Ruhe gelassen. Die Tatsache, dass relativer Wohlstand und soziale Sicherheit durch eine enorme Staatsverschuldung erkauft waren, interessierte den "kleinen Mann" nicht, er wusste nicht einmal davon. In Jugoslawien konnte man ungehindert ins Ausland reisen und man war doch stolz auf die Rolle, die das Land dank Tito weit über seine wahre politische und wirtschaftliche Bedeutung hinaus genoss. In beiden Ländern fehlte die persönliche und erst recht die politische Freiheit. In der DDR brachte die Wende vielen auch Existenzangst und Unsicherheit, bot aber den Fähigen und Anpassungswilligen auch Chancen. Außerdem brachte sie doch die nationale Einheit. Die Bevölkerung von Jugoslawien machte von der politischen Freiheit den denkbar schlechtesten Gebrauch. Es wurden Politiker gewählt, die teils aus Unfähigkeit, teils aus Chauvinismus, teils sogar fast aus bewusster Bosheit das Land zerfallen und den blutigsten Bürgerkrieg seit 1945 in Europa entstehen ließen. Wenn man bedenkt, dass der Zerfall der ehemaligen Sowjetunion mit 150 (!) anerkannten Nationalitäten zwar nicht ganz friedlich, aber doch wesentlich friedlicher vonstatten ging, ermisst man, was hier passierte. Kein Wunder, dass Titos Zeit vielen Jugoslawen, noch verschönert durch die Erinnerung, als eine Art "goldenes Zeitalter" erscheint.

Am Nachmittag stand eine Wanderung am "Schwarzen See" im Programm. Hier spielt mir meine Zehennagelentzündung einen Streich. Die Straße war vernachlässigter als wir dachten, und man musste über Stein und Wurzeln marschieren, so dass die ganze Gruppe den Weg etwa auf der Hälfte der Seeumrundung abbrach. Bis dahin habe ich es auch mit Ach und Krach geschafft, aber der Rückweg wurde so qualvoll, dass der Führer seinen Beruf ernst nehmen und mich führen musste, von dieser Stelle aus noch einmal ein Dankeschön an ihn, auch wenn er das wohl nie zu lesen bekommen wird, und eine dicke Entschuldigung an alle, die auf mich warten mussten.
Als wir in unser Hotel in Kolašin ankamen, erwartete uns dort eine Riesenüberraschung. Aus den Schränken lachten zwei blütenweiße Bademäntel sowie zwei Badelatschen. Es war ein "Wellnesshotel". Abends gab es ein riesiges, sehr dekorativ arrangiertes Osterbuffet.

25.4.2011 Montenegro: Cetinje, Kotor

Da wir uns jetzt politisch mit Montenegro befassen und in der geschichtlichen Einleitung nichts darüber steht, zuerst einige Worte dazu.
Im XIV. J.h. huldigte ein Erzbischof der Gegend sofort den Türken und handelte für sich einen halbunabhängigen Status aus, daraufhin gab es mehrere Dynastien regierende Erzbischof-Herzöge. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dürfen Priester auch in der Ostkirche nicht heiraten. Nur schon verheiratete können zu Priestern geweiht werden. Sie bleiben ihr Leben lang Dorfpriester. Die höheren Ämter bleiben Mönchen vorbehalten, die natürlich unverheiratet und in der Regel gebildeter sind als die Dorfpriester. Diese absolvieren in der Regel kein Theologiestudium, werden nur sozusagen im "liturgischen Handwerk" ausgebildet. So vererbte sich in den Dynastien das doppelte Amt des Erzbischofs und des Herzogs vom Onkel an den Neffen. Bis es einem Mitglied der Familie lästig wurde, er zog aus dem Kloster aus, in dem die Fürstbischöfe immer residierten, und baute sich ein Haus.
1878 am Berliner Kongress wurde das Land vergrößert und für unabhängig erklärt.
1910 proklamierte sich der Großfürst Nikita gar zum König ("Kaiser" wäre doch etwas übertrieben gewesen). Bald nannte man ihn den "Schwiegervater Europas". Er verheiratete eine seiner Töchter mit dem Thronfolger von Italien (sein Enkel Umberto I. regierte dort sogar kurz, bis 1946, bis das Land per Volksabstimmung zur Republik erklärt wurde), zwei mit zwei russischen Großfürsten und eine mit einem Herzog von Württemberg. Aber seine zwei unverheirateten Töchter hatte er am liebsten und nannte sie "seine Söhne". Seine illustre Verwandtschaft nützte ihm aber nicht, als sein Land 1918 in Jugoslawien einverleibt wurde. Dort blieb es bis 1996, ab 1990 mit Serbien eine Art "Mini-Jugoslawien" bildend, bis 1996 auch Montenegro sich in einer international kontrollierten und korrekten Volksabstimmung für unabhängig erklärte. Es führte den Euro als Landeswährung ein.

In der ehemaligen Residenzstadt Cetinje (na, wenn Detmold eine ist, warum Cetinje nicht?) nahm uns eine auffallend schöne, rothaarige (großes Raten, echt, oder gefärbt?) Reiseleiterin in Empfang (eine angenehme Nebenwirkung dieser Reise war, auch die alten Knaben mit den verschiedenen Variationen südslawischer weiblicher Schönheit näher bekannt zu machen). Schon während der Fahrt erklärte sie stolz, dass die Montenegriner oft schöne großgewachsene Menschen seien. Uns fiel die ironische Bemerkung des Führers über mangelnde Arbeitslust und nicht absolute Wahrheitstreue der Montenegriner ein (letztere eher aus dem Wunsch aufzufallen und im Mittelpunkt zu stehen als sich persönliche Vorteile zu verschaffen). Außerdem führte sie beredte Klage darüber, dass Cetinje nicht Hauptstadt wurde. Sie zeigte uns die schönen alten Botschaftsgebäude, die man jetzt wieder prima benutzen könnte. Kein Wunder, die angeheirateten Familien ließen sich nicht lumpen, und die anderen mussten nachziehen. Dann sahen wir ein leicht lädiertes Haus mit der alten jugoslawischen Fahne darauf. Das war der Sitz der offiziellen titoistischen Bewegung. So etwas gibt es in der DDR doch nicht. Soweit man es durch eine kurze Busfahrt beurteilen kann, macht die Stadt weder einen orientalischen noch einen mediterranen Eindruck, sie sieht eher - na "sechziger Jahre mitteleuropäisch aus". Vielleicht gründet jemand so etwas dort auch.
Die Hauptsehenswürdigkeit ist der Königspalast. Sie machte uns schon vorher darauf aufmerksam, dass wir kein zweites Versailles erwarten dürften. Taten wir auch nicht! Velbert war und ist eine Industriestadt. Aber die reichen Velberter Industriellen bauten ihre Villen in der damals selbstständigen Stadt Langenberg.

Äußerlich erinnert der Palast stark an solche um 1900 entstandenen Industriellenvillen. Die Einrichtung ist auch danach, solide Möbel um etwa 1900, die Andeutung eines fernöstlichen Raumes. Was interessant ist, sind die zum Teil ziemlich alten Waffen, mannshohe Figuren in einheimischer Kleidung oder in Uniformen, auch ziemlich kuriose Gegenstände wie Feldpostkarten auf Deutsch aus dem I. Weltkrieg etc. Die Hauptattraktion sind die Bilder. Bilder der einheimischen Dynastie in Volkstracht oder in Uniform, Bilder fremder Herrscher von Napoleon III. bis Franz Joseph I., mehrerer russischer Zaren. Auf ein großes Bild machte uns die Führerin besonders aufmerksam. Es heißt "La Guzla". Das ist ein recht primitives Saiteninstrument. Das Bild zeigt einen Guzla-Spieler sowie seine Zuhörer, alle in Volkstracht. Der Spieler trug die Nachrichten vor, er war also eine wichtige Nachrichtenquelle (wohl oft die einzige). Neben den gemalten Bildern sieht man auch viele Fotos, vor allem der einheimischen Herrscherfamilie. Wenn es auch kein Versailles war, war es doch interessant und irgendwie sympathisch. Nachher besichtigten wir das ziemlich düstere Kloster im byzantinischem Stil, wo die Herrscher früher gewohnt haben. Also, an deren Stelle wäre ich auch schleunigst ausgezogen. Wir durften nur die Kirche betreten, geschmückt mit recht gewöhnlichen Ikonen (von Bulgarien her ist man an etwas anderes gewöhnt). Neben dem Kloster steht das erste Haus, wo der Fürst nach dem Auszug aus dem Kloster zuerst gewohnt hat. Der Man war leidenschaftlicher Billard-Spieler und sammelte Billard-Tische. Heute befindet sich ein Billard-Museum dort. Vielleicht wäre es eine gute Frage für Herrn Jauch: "Wo ist das einzige Billard-Museum der Welt?”

Die Führerin legte uns dar, dass Montenegro in erster Linie auf den Fremdenverkehr baut. Wenn sie nicht auf Sand bauen. Das Land hat Naturschönheiten, das können wir wirklich bezeugen. Aber, es ist nur wenig bekannt und wohl relativ teuer. Mit solchen Massenzielen wie die Türkei, Mallorca oder selbst Kroatien werden sie schwerlich konkurrieren können. Zu wünschen wäre es ihnen ja.
Wir nahmen unser Mittagessen auf "Empfehlung" der Führerin in einer Dorfgaststätte ein. Es gab rohen Schinken und Wein (auch zum Kauf). Es war tadellos. Über das Essen im Allgemeinen hätte man diskutieren können, aber der Wein schmeckte immer (Da Studienfreunde von mir als Nebenjob auch "auf Reiseleiter machten", weiß ich, dass der Reiseleiter, der keine Provision nimmt, erst mal gemalt werden muss. Das ist in Ordnung, solange das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt).

Dann machten wir uns auf den Weg nach Kotor. Und auf welchen Weg! Eine schmale Serpentine mit Haarnadelkurven führte steil abwärts. Für den Gegenverkehr gab es nur einige Ausweichstellen. Unsere "schöne Rothaarige" erzählte uns, dass man vormittags tunlichst herauf und nachmittags herunterfährt. Einmal weigerte sich ein Engländer, ob aus Sturheit oder Angst, vor einem entgegenkommenden Bus rückwärts zu fahren. Schließlich tat es der erfahrene Busfahrer. Mit solcher Hartnäckigkeit gewinnt man Weltkriege und baut ein Empire auf. Wenn ich mich richtig erinnere, musste unser Bus nur zweimal ausweichen. Aber für uns war die Fahrt genüsslich. Das Spätnachmittagswetter war herrlich, und jede Kurve bot eine andere Aussicht auf die Hafenstadt. Dort angekommen machten wir noch einen kurzen Spaziergang und genossen das mediterrane Flair der Stadt. Laut Prospekt hat die Stadt, wie alle dalmatinische Städte, mehrere schöne Kirchen und Paläste. Es mag auch sein, dass uns einige kurz gezeigt und erklärt wurden. Da müsst Ihr andere fragen. Dann ging es weiter nach Dubrovnik. Die Küstenstraße war wie immer, schön. Da ein Zipfel Bosniens bis zum Mittelmeer ragt, kamen wir sogar in den Genuss einer Passkontrolle.

26. 4. 2011 Dubrovnik

Wie Split ist auch Dubrovnik / Ragusa von ein vereinfachtes Latein sprechenden Flüchtlingen aus Narona und Epidaurum gegründet (nach der neuesten Entdeckung einer Kirche muss es dort aber schon früher eine städtische Siedlung gegeben haben). Bis zum XIV. Jh. stand die Stadt wechselweise unter west- oder oströmischer (byzantinischer), venezianischer oder ungarischer Herrschaft. Es gab Zeiten, wo diese Herrschaft effektiv ausgeübt wurde, es gab Epochen, wo sie eher nur nominell bestand, während die tatsächliche Macht in der Hand einer städtischen Adelsschicht lag.
Obwohl die Stadt praktisch eine Insel war (vom Festland durch einen Kanal getrennt), lässt sich hier so deutlich wie sonst nirgends der jahrhundertelange Slawisierungsprozess verfolgen, der auch etwa in der Mitte des XIV. Jh. zu Ende ging. Von nun an bis 1808 war Dubrovnik eine unabhängige aristokratische Republik, ähnlich wie Venedig, nur dass hier das Oberhaupt, der Rektor, monatlich wechselte, während der Doge in Venedig auf Lebenszeit, wenn auch mit von Jahrhundert zu Jahrhundert abnehmenden Machtbefugnissen gewählt wurde. Da im Gegensatz zu den anderen dalmatinischen Städten der Seehandel nicht von den Venezianern abgewürgt werden konnte (die Stadt war ja unabhängig), blühte der Seehandel auf. Es ermöglichte den Behörden, einen für die Zeit erstaunlichen Wohlfahrtsstaat mit Armen- und Krankenfürsorge aufrechtzuerhalten. Auch leistete man sich den Luxus, praktisch keine Armee zu haben, obwohl ein imponierender Mauerring um die Stadt gelegt wurde. Eine Ironie der Geschichte, dass besagter Ring jahrhundertelang nicht gebraucht wurde und erst am Ende des XX. Jhs., als so etwas längst "aus der Mode gekommen war", eine strategische Bedeutung erhielt.

Stattdessen "schoss man mit goldenen Kugeln", zahlte Kontributionen, bestach führende Beamte und machte sich als Schauplatz für geheime und offene Verhandlungen unentbehrlich. Seltsamerweise betrachtet man Venedig als Hauptgegner und verkaufte ein Gebiet an die Türkei, um keine gemeinsame Grenze mit der "Serenissima" zu haben.
Das Gemeinwesen überlebte sogar zwei Schicksalsschläge: die Verlagerung der Handelswege vom Mittelmeer in die Weltmeere (was Venedig letzten Endes die Großmachtstellung kostete) und die Erdbeben und die Feuertragödie von 1667.
Erst Napoleons Truppen machten der Herrlichkeit 1808 ein Ende. Seitdem teilt die Stadt das Schicksal Dalmatiens bzw. seit 1918 ganz Kroatiens.

An diesem Tag ließ uns das schöne Wetter, das bis jetzt unser treuer Begleiter war, im Stich, der Himmel war bewölkt, es fielen einige Regentropfen, ohne dass es zu einem richtigen Regen gekommen wäre. Unter diesen Umständen begannen wir unsere geplante zweistündige Bootsfahrt. Sie war trotzdem schön. Das Meer war ruhig, die Küste ist, wie überall in Dalmatien, abwechslungsreich, was auch noch durch Gebäude unterschiedlichen Stils und Alters erhöht wird.
Nach der Fahrt betraten wir die Stadt durch die "Hintertür", den Hafen. Die Großzügigkeit unserer Gastgeberin in Sarajewo kam uns hier auch noch einmal zugute. Wir hatten ja dort ein Abendessen nicht in Anspruch genommen. Dies und eine Zugabe aus dem "Trinkgeldtopf“ ermöglichten uns ein gutes landestypisches Mittagessen. Inzwischen war das Wetter zumindest "durchwachsen" geworden, einige Regentropfen, einige Sonnenstrahlen, jedenfalls kein Hindernis für eine Stadtbesichtigung. So gingen wir durch die Hauptstraße, die an sich ein Denkmal ist, unserer Führerin entgegen. Sie entpuppte sich als eine großgewachsene hübsche Dame im mittleren Alter (Damen fragt man nicht nach ihrem Alter, aber schätzen wird man wohl dürfen).

Jetzt begann also die obligate Stadtführung. Jeder, der hier eine solche mitmacht, so kurz sie auch sein mag, wird zuerst in die "älteste Apotheke der Welt" geführt. Wir auch - Eigentlich ist das Wort falsch, es ist keine Apotheke, sondern ein Apothekenmuseum, obwohl es in der Nähe eine große saubere Apotheke gibt, die ich auch prompt damit verwechselte. Das Ganze gehört dem Franziskanerkloster, das natürlich auch eine interessante Kirche hat. Bis 1901 standen hier die Mönche und bereiteten ihre Arzneimittel. Heute sind ihre Porzellan- und Steinguttöpfe, Mörser, Phiolen, Waagen, Destillierapparate sowie alten Bücher in gut aufgebauten Regalen eindrucksvoll präsentiert. Vom Apotheken-Museum ins echte Museum. Der Schutzpatron der Stadt ist der Heilige Blasius. Ihm soll während der Christenverfolgungen die Kehle durchschnitten worden sein. Deshalb beansprucht er heute die gleichen Kompetenzen wie die Hals-, Nasen- Ohrenärzte (nicht böse sein, nicht blasphemisch gemeint). Ich weiß nicht, ob man es hier auch macht, aber in Ungarn gibt es die Blasiusweihe, bei der neben dem Hals eines Kindes rechts und links zwei Kerzen entzündet werden, währenddessen liest ein Priester den Blasiussegen auf lateinisch vor, damit das Kind von Halskrankheiten verschont bleibt. Als ein großer, streng katholischer Dichter am Kehlkopfkrebs operiert werden sollte, fiel ihm diese Zeremonie ein und er erflehte in erschütternden und ehrlichen Versen von dem Heiligen Hilfe. Während des Besuches im Klostermuseum fiel mir wiederum dieses Gedicht, eines meiner Lieblingsgedichte, ein (oder vielmehr, ich wurde daran erinnert). Im Museum stehen nämlich zahlreiche manchmal naive, aber rührende Kunstwerke über dieses Thema. Ebenso bemerkenswert ist die Klosterkirche mit einem großen Gemälde von Tizian. Klar ist, dass es sich um eine bestellte Arbeit handelt. Das "Pillendrehen" muss also ganz tüchtig Geld eingebracht haben.

In der Kirche ruht der große Nationaldichter Gundulic. Es ist der Fluch der "kleinen Völker”. Wer kennt ihn außerhalb? Nicht uninteressant ist vielleicht die Information, dass während der Belagerung das Kloster eines der Hauptziele der serbischen Artillerie gewesen ist, woraufhin das Internationale Rote Kreuz sein Hauptquartier dort einrichtete. Wenn man vom einzigartigen Apothekenmuseum absieht, ist das Dominikanerkloster kunsthistorisch vielleicht noch interessanter. Absolutes 1a ist der Kreuzgang mit Brunnen in der Mitte und Pflanzenmotiven an den Säulen. Auf einem Triptychon von 1513 hält der heilige Blasius ein Modell der Stadt in der Hand, auf einem Pfingstbild "Ausgießung des heiligen Geistes" sieht man auch den Stifter (eine damals gängige Übung: wenn der Stifter bescheiden war, ist er ganz klein dargestellt, etwa so wie Herr z. G. mit Doktorhut). Ein Weihrauchkessel ist einem (damals nannte man es so) Ragusaner Handelsschiff nachgebildet. Und dann natürlich Tizian "der heilige Blasius” (immer wieder) samt der heiligen Magdalena, Tobia, Engel und Stifter" (das muss denn ganz schön gekostet haben! Die Bemerkung im Zusammenhang mit dem Franziskanerkloster gilt natürlich auch hier). In der wenig dekorierten Kirche steht als Altarbild eine Kreuzigungsszene von Paolo Veneziano (endlich ein Name, natürlich außer Tizian, der einem was sagt). Auffällig ist, wie einträchtig und ziemlich gleichmäßig bei allen Baubeschreibungen italienische kroatische Namen auftauchen. Eins muss man den Venezianern lassen, so harte und ungerechte Herrscher sie sonst auch gewesen sein mögen, dort, wo sie herrschten, förderten sie auch einheimische Künstler. Schließlich ist der große El Greco, der eigentlich einen griechischen Namen hatte (auf spanisch heißt das einfach "der Grieche") ein unter venezianischer Herrschaft geborener Grieche. Was einem noch zu denken gibt: während der französischen Besetzung diente das Kloster als Lebensmittellager und Pferdestall (!), damals war das Konkordat doch längst in Kraft! Vielleicht tobte sich der alte antiklerikale - revolutionäre Geist weit weg von den aufmerksamen Augen des Kaisers noch ein wenig aus? Übrigens, die beiden Tizians vertrügen eine gründliche Restaurierung, die Fremden bringen doch Geld, oder?

Nach so viel Kirchen zur weltlichen Herrschaft. Der Fürstenhof, auch Rektorenpalast genannt, war der Amtssitz des Fürsten, der Rektors, des kleinen Rates, eine Art Regierung, und des großen Rates, eine Art Parlament. Wie Venedig war Ragusa (wie es damals amtlich hieß) eine aristokratische Republik, d. h. nur eine begrenzte Anzahl von Familien hatte politische Rechte, was dazu führte, dass nur eine kleine Zahl der Bürger für das Amt des Rektors, der aber nur je einen Monat amtierte, in Frage kam. So konnte die gleiche Person immer wieder ins Amt gewählt werden, aber nicht direkt hintereinander. Während seiner Amtszeit musste (oder durfte?) er ohne seine Familie im Palast wohnen, und es war ihm verboten, ihn zu anderen als zu Amtszwecken zu verlassen. Aber im Gegensatz zu Venedig, wo die führende Schicht von Anfang an aus Kaufleuten bestand, bestand die entsprechende Schicht in Ragusa ursprünglich aus Großgrund-besitzern, was immer wieder zu Konflikten zwischen ihr und reich gewordenen Kaufleuten führte. Der erste Amtssitz war, wie es für ein Adelsnest geziemt, eine Burg. Sie flog 1429 durch eine Schießpulverexplosion in die Luft.
Die Zeiten waren friedlicher geworden, man begann mit einem Schlossbau im gotischen Stil. 1463 ging auch der in die Luft. Fast das gesamte zweite Stockwerk wurde zerstört. Inzwischen begann schon die Frührenaissance. Man baute einen großen Portikus in deren Stil, aber, sicher ist sicher, große gotische Doppelfenster darüber. Der Abwechslung halber kam das Erdbeben von 1667, der Wiederaufbau dauerte bis 1739 und bescherte dem Gebäude einige Barockelemente, unter anderen ein damals modisches großes Treppenhaus. Dann kam "nur" noch das Erdbeben von 1979. Auf der Eingangsseite harmonieren Portikus und gotische Fenster sehr gut, es passt hier das abgedroschene Wort "imposant". Man spürt hier Macht und Reichtum dieses ansonsten kleinen Staates. Vom Imposanten zum Großartigen. Vom Eingang in den Innenhof. Man blickt hinauf zu den Stockwerken. Das mit Arkaden umgebene erste Geschoss nimmt den Blick richtig gefangen.

Das Treppenhaus war auch eine gute Idee. Es ist sozusagen das architektonische Sahnehäubchen zum Ganzen (Seid mir nicht böse, dass ich von den äußeren Aspekten der Gebäude sonst nichts schrieb, im Gegensatz zu den anderen Führungen sind wir sofort eingetreten und haben nichts darüber gehört. Hier habe ich vorher darüber gelesen und achtete darauf). An einer Wand sieht man interessante Fotos vom letzten Wiederaufbau, und es wird um Spenden geworben. So wie ich gesehen habe, nur kroatisch, man könnte dafür die Fremden auch ruhig angehen. In den großen, hellen Räumen sieht man schöne Möbel vom Ende des XVIII. Jh., relativ zweitrangige Gemälde oder sogar nur Kopien von denen (das eigentliche historische Museum ist im Keller). Auf meine Frage, ob es zu Ende der Rektorenzeit so gewesen sei, sagte die Führerin "Nein, das ist auf Titos Anweisung so eingerichtet worden". Es sind aber Originale, sie hätten aber auch damals zumindest dort stehen können.

Der Besuch der Kathedrale hätte der krönende Abschluss sein sollen, sie war aber zu! Einmal ging eine Nonne dorthin und schloss auf, wir hofften schon, aber sie schaute uns böse an und schloss wieder zu. Daraufhin gab die Führerin ihrem Bedauern Ausdruck und verabschiedete sich von uns. Es begann wie auf Kommando richtig zu regnen. Wir liefen schnell zum Bus. Dort sagte der Führer zu uns, wie ein erwachsener Sohn zu seinen leicht senil werdenden Eltern: "Bald sind Sie im warmen und trockenen Hotel". Und so geschah es auch.

27.4.2011

Der letzte Tag ist schnell erzählt. Bei der Abfahrt waren alle pünktlich. Ein korrektes Frühstück im Hotel (keinesfalls selbstverständlich zu der Uhrzeit). Abschied von unserem wirklich großartigen Führer. Ein ruhiger Flug. Unsererseits Abschied in Frankfurt (Sollten wir jemanden vergessen haben, Entschuldigung). Es bleibt uns nur noch übrig, uns für die nette Gesellschaft zu bedanken. Von unserer Seite ein Sonderdank an die "Tortenbäckerin" Dorle und an Martin für sein Geschenk an Hella und ein großer Dank von uns allen für seine sorgfältige Vorbereitung und schwungvolle Führung (natürlich auch mit einer Prise Hoffnung, dass Lob und Dank ihn zu weiteren Taten motivieren).
Als Schlusswort ein verändertes Churchill-Zitat. Er sagte über die Jagdflieger des II. Weltkrieges: „Noch nie waren so viele so wenigen zu so großem Dank verpflichtet.” Wir können sagen: „Noch nie sind so wenige in so kurzer Zeit von so vielen geführt worden."