Gemeindereise nach Ägypten - Meditationen

Sonntag, 18.10.

Der Auszug aus dem afrikanischen Ägypten ist abgeschlossen für die Israeliten, Moses, der Knecht des Herrn, war gestorben und Josua, der Sohn Nuns, des Dieners des Moses, der neue Anführer der Israeliten. Eine ganze Generation, etwa 40 Jahre, hatten sich die Kinder Israels geschunden, um das gelobte Land zu erreichen. Nach dem gelungenen, wunderbaren Durchzug durch das Schilfmeer sangen Moses und die Israeliten dem Herrn ein Lied als Lobgesang:
„Ich will dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan, Roß und Mann hat er ins Meer gestürzt. Der Herr ist meine Stärke und mein Lobgesang, und ist mein Heil. Das ist m e i n Gott, ich will ihn preisen, er ist meines Vaters Gott, ich will ihn erheben.“ (2.Mose 15, 1-2)

Mit Wachteln und Manna hatte Gott sie wunderbar erhalten und gestärkt (vgl.2.Mose 16). Bei der Ankunft am Sinai wurden die Kinder Israels zugerüstet zum Eigentum von allen Völkern (vgl. 2.Mose 18, 5) und Gott, der Herr erschien dem Moses. Am Ende der 5 Bücher Moses heißt es wörtlich: „Und es erstand hinfort kein Prophet in Israel auf wie Moses, den der Herr erkannt hätte von Angesicht zu Angesicht“ (5.Mose 34,10).

Dort auf dem Gottesberg geschah die gewaltige Offenbarung der Zehn Gebote ( vgl.2.Mose 19-20).
Dann aber geschah das Unglaubliche: Als der Herr mit Moses geredet hatte auf dem Berg Sinai, gab er ihm die beiden Tafeln des Gesetzes, die aus Stein waren und vom Finger Gottes beschrieben waren. Doch als das Volk bemerkte, dass Moses nicht kam, sammelte es sich und sprach zu Aaron, dem Bruder des Moses: „Auf, mach uns einen Gott, der vor uns hergehe! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Moses widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat“ (vgl. 2.Mose 31, 18- 32, 1).

Und Aaron war Gott ungehorsam und gehorchte dem Volk: ein gegossenes goldenes Kalb wie in bei dem Ägyptern sollte der Gott sein, der sie aus Ägypten herausgeführt hatte (vgl. 32, 2ff).

Gottes Zorn entbrannte über diese ungeheure Tat des Volkes. Moses erflehte jedoch Gottes Erbarmen in seiner Fürbitte für sein Volk : „… kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst ( vgl.32, 7ff).

Moses entbrannte aber ebenfalls im Zorn und zerschmetterte die Gesetzestafeln, ließ das Kalb einschmelzen, zermalmte es zu Pul- ver, streute es ins Wasser, das die Israeliten trinken mussten (vgl. 32, 15 ff). Die Hauptstrafe für diese große Sünde des Volkes Jah- we gegenüber wurde indess aufgeschoben: „Ich werde aber ihre Sünde heimsuchen, wenn meine Zeit kommt.“(V.34)

Auf dem Berg Nebo, den wir als Paulusseminaristen 1987 erleb- ten und über den Jordan ins Gelobte Land hinüberschauten, wie Moses, Josua und die Kinder Israels als „Gottes Eigentum“, er- hielt Josua eine große Verheißung: „Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Laß dir nicht grauen und ent- setze dich nicht; denn der Herr, d e i n Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst“ (Josua 1, 9).

Die Landnahme des „Gelobten Landes“ durch die Israeliten ge- schah dann unter viel Schrecken und Gewalt. Das beschreibt das Buch Josua. Israel ist aus der ägyptisch-afrikanischen Sklaverei von Gott „mit starkem Arm“ herausgeführt und so befreit worden.

Aber wie steht es mit den A f r i k a n e r n ?

Ich frage einen Afrikaner, nicht einen Ägypter , sondern einen Südafrikaner. Natürlich sind wir der altägyptischen Religion und Kultur, der altchristlich-ägyptischen Frömmigkeit der Koptischen Christen mit gebührendem Respekt begegnet, aber vielleicht sind wir uns immer noch nicht so richtig bewußt ge- worden, dass wir uns auf a f r i k a n i s c h e n B o d e n be- finden?!

Der Afrikaner stellt eine radikale Frage: Sind die Afrikaner „die Stiefkinder Gottes“ ?

Zunächst: von wem spreche ich, wenn ich einen Südafrikaner frage? Ich spreche von dem sehr prominenten und bekannten, anglika- nischen Alterzbischof Desmond Tutu aus Südafrika. Im Juni dieses Jahres hat er an der Universität Tübingen eine wie ich meine fast predigtartige Rede gehalten; die sogenannte „Weltethos-Rede“, des Weltethosprojekts von Prof.Hans Küng.

Tutu richtet seine Aufmerksamkeit natürlich auf seinen Heimatkon- tinent Afrika. Für seine theologische Frage, ob die Afrikaner Stiefkin- der Gottes sind, auf einem zum Scheitern verurteilten, verlorenem Kontinent, würden wir- Hand auf´s Herz- wohl auch antworten: Ja! Die sogenannten Afrika-Skeptiker bringen vor: so viele Bürgerkriege, zB im Sudan, in Somalia, in Uganda, im Kongo, und auch bis vor kurzem in Liberia und Sierra Leone, wo furchtbare Gräueltaten ge- schehen sind.

Christen- wir vielleicht?- würden sagen: das ist nicht das alte Afrika- Ägypten, das einst Abraham und Jakob als Zuflucht gedient hat, als im Heiligen Land Hungersnot herrschte. Und das ist nicht mehr das gleiche Afrika, das die heilige Familie aufgenommen hatte, als sie vor Herodes fliehen musste. Und das ist nicht mehr das gleiche Afrika, das einen Simon von Cyrene hervorgebracht hat, der Jesus geholfen hatte, am ersten Karfreitag sein Kreuz zu tragen. Und es ist auch nicht mehr das gleiche Afrika, das die großen Kirchen- väter Klemens und Origenes und Athanasius von Alexandrien, den latein- schen Kirchenvater Augustinus und andere berühmte theologische und philosophische Denker hervorgebracht hat, von denen wir ja in diesen Reisetagen neu hören.

Und die Skeptiker und sog.Realisten fahren fort in ihrer Schreckens- liste: zu viele korrupte, absolutistische Tyrannen wie zB in Simbabwe, die keine Verantwortung gegenüber ihrem Volk zeigen. Ein kranker Kontinent: HIV und Aids, diese schrecklich, tödliche Pandemie, die ja südlich der Sahara und besonders in seinem wunderschönen Heimat- land Südafrika besonders verbreitet ist, an der täglich 1.000 Menschen sterben.
Neulich ist die westliche Welt erschüttert gewesen über der Tatsache, dass beim Absturz einer Air-France Maschine 200 Menschen starben, wenn wir uns vorstellen, dass täglich 4 solcher Maschinen voller Men- schen durch Aids ums Leben kommen!?

Es scheint so zu sein, dass selbst diejenigen, die Afrika lieben, wirklich genau hinschauen müssen, um die positiven Dinge dort zu sehen. Es sieht wirklich fast so aus, als ob die Afrikaner wirklich die Stief- kinder Gottes sind – so Alterzbischof Tutu. Er sagt dann hierzu: es bleibt die Tatsache bestehen, dass es in Afrika einfach v i e l zu v i e – l e s c h e c h t e M e n s c h e n gibt. Und er fragt selbst: Warum ist man in Afrika, wo es doch auch reiche Ölvorkommen gibt, zB in Nigeria, nicht in ähnlicher Weise in der Lage wie in arabischen Ländern den Reichtum zum Wohle der Menschen einzusetzen und nicht zur Bereiche- rung weniger!?

Tutu beantwortet seine Grundfrage ganz laut und deutlich mit einem schallendem : Nein! „Nein, die Afrikaner sind auf keinen Fall die Stiefkinder Gottes! Was führt er zur Begründung an? Hören wir genau hin! Erstens gibt es afrikanische Länder, denen es recht gut geht: Botswana, Mosambik, Namibia, Ghana, und eben sein Südafrika. Zweitens tun wir gut daran, zu bedenken, dass die meisten Länder Afrikas erst vor kurzem das k o l o n i a l e J o c h abgeworfen ha- ben., meistens ohne jede Vorbereitung auf die Eigenständigkeit. Mündige Wähler gab es nicht, Herrscher konnten nicht zur Rechen- schaft gezogen werden.
Drittens sollten wir nicht vergessen, dass die Afrikanische Union die Menschenrechtscharta vorweisen kann. Es gibt klare Regeln für eine verantwortungsvolle Regierungsform (good governance). Viertens hat Südafrika eine sehr liberale Verfassung, die wirklich dafür sorgt, dass niemand wegen seiner H e r k u n f t, seiner R e – l i g i o n, seines G e s c h l e c h t s, seiner s e x u e l l e n O r i – e n t i e r u n g , einer etwaigen B e h i n d e r u n g oder wegen sei- nes A l t e r s benachteiligt wird.

Er erinnert uns an das Beispiel Israels, an seine lange Durststrecke in seiner Geschichte, und denken wir mal an unser altes Europa, und dessen Jahrhunderte langes Streben nach Freiheit und Wohl- stand. Wir feiern in diesem Jahr nicht 60 Jahre, sondern 220 Jahre Demokratiestreben in Deutschland.

Und nun hören wir Desmond Tutu selbst mit seinen eigenen afrika- schen Worten, vom Afrikanischen ins Englische und dann ins Deut- sche übertragen; er sagt:

„ In vielen Ländern Afrikas ist die Weltsicht der Dinge etwas, das man mit U b u n t u bezeichnet. Ubuntu ist im Grunde der Kern des Seins, der Kern der Persönlichkeit. W i r sagen: Du musst dich bemühen, alles zu sein, was du kannst, damit ich alles sein kann, was ich sein kann. Meine Menschlichkeit hängt mit deiner Mensch- lichkeit zusammen. Der einzelne losgelöste Mensch ist im Grunde genommen ein Widerspruch in sich. W i r sagen: Eine Person wird zur Person durch andere Personen, durch die Mitmenschen. Ich habe Gaben, die du nicht hast und du hast Gaben, die ich nicht habe. Und dann sagt Gott: „Voilà, genau darum geht´s. Dadurch erkennt ihr, dass ihr euch gegenseitig braucht“.

Wir sind dazu geschaffen, dass wir in einem sehr fragilen Netzwerk von gegenseitiger Abhängigkeit leben. Derjenige, der vollkommen eigenständig ist und autark ist, ist eigentlich kein Mensch, k e i n e c h t e r  M e n s c h .
U b u n t u bedeutet auch Mitleid, Großzügigkeit, Gastfreundschaft. Wer Ubuntu hat, er ist ein Mensch. Ubuntu ermutigt alle, zu ver- geben, zu versöhnen.

Wir spüren alle, wie wir uns hier im Herzen des christlichen Glaubens befinden. Unser Herr Jesus steht in Wort und Tat vor uns. Stehen wir neben oder hinter Ihm?

Tutu gibt uns ein konkretes, südafrikanisches Beispiel, das wir alle respektvoll kennen und anerkennen: Nelson Mandela.
Er hätte nach 27 Jahren Gefängnis eigentlich nach menschlichem Er- messen voller Bitterkeit und Zorn, voller Hass- und Rachegefühle, der südafrikanischen Welt den Kampf ansagen können. Aber die Welt staunte nicht wenig über seine enorme Großzügigkeit im Geiste. Er kam aus der ungeheuer langen Haft und forderte sein Volk auf, nicht Rache zu üben, sondern Vergebung und Versöhnung. So ist Nelson Mandela zu d e m U b u n t u – M e n s c h, zu einer Ikone von Ver- gebung und Versöhnung in der Welt geworden.

Und es gibt auch eine Ubuntu-Institution, die Versöhnungs- und Wahrheitskommission, der Alterzbischof Tutu selbst vorstand. Tutu berichtet: Da sagte jemand aus: „Wir haben jemand in den Kopf ge- schossen und seinen Körper verbrannt- es dauert acht oder neun Stun- den bis ein menschlicher Körper verbrannt ist- und während der Körper brannte, haben wir daneben ein Grillfeuer gemacht und Bier getrunken.“

Tutu fragt, was mit der Menschlichkeit, mit dem Ubuntu passiert sein muss, damit ein Mensch dazu in der Lage ist !? Das fragen wir uns sicher auch immer wieder, wenn wir an die Nazi- Gräuel denken.

Aber Ubuntu gibt es nicht nur in Südafrika. Nach Mau-Mau in Kenia dachte man- so berichtet Tutu-, wenn jetzt U h u r u (Freiheit) zu uns kommt, würde Yomo Kenyatta sein Volk in einen Rachefeldzug führen.

Das ist aber nicht passiert. Auch als die Befreiung in Simbabwe, fr. Rhodesien, kam, gab es keine Rache und Vergeltung. Ian Smith blieb im Parlament. Das kam aber alles nach der Mutation des Mugabe zum Diktator. Auch in Namibia war es ähnlich.

Die „Ubuntu- Menschen sind Individuen in ihrer Würde, jeder ist Teil der Menschen-, ja der Gottes-Familie.
Dies erklärt der christliche Alterzbischof christlich- wie sollte es anders sein.
Er hält uns unseren Herrn Jesus Christus vor Augen. Am ersten Morgen der Auferstehung trifft Jesus als erste auf Maria Magdalena, eine Frau, die ihm sehr nahe stand. Paulus sagte einmal: um als Apostel zu gelten, muss man den Herrn gesehen haben. Also nennt schon Augustinus Maria Magdalena die e r s t e A p o s t o – l i n. Und Jesus sagt zu ihr: Geh hin und sag es meinen Brüdern (vgl. im Ganzen Joh 20; auch Mt 28,10). Jetzt nennt er seine Jünger, die er meistens Freunde nennt, Brüder. Sie, unter denen ihn einer verra- ten, einer dreimal verleugnet hat und die ihn alle verlassen haben. „Sag meinen Brüdern, dass ich zu meinem und zu eurem Vater auf- fahre“ (vgl. Joh 20, 17 b).
 

Und dann sagt Tutu etwas, was vielen Christen gar nicht passte und auch heute nicht passt. Ich zitiere seine Worte: „…Jesus hat gesagt: Wenn ich auffahre in den Himmel,…dann nehme ich euch a l l e mit. Alle, alle, alle. Die Reichen, die Armen, die Weißen, die Schwarzen, die Gelben, die Roten, Palästinenser, Israelis…. Homosexuelle, Hetero- sexuelle, alle- können Sie sich das vorstellen? George Bush, Osama bin Laden. Alle, alle, einfach alle. Das ist doch fantastisch…Es geht um alle, alle, einfach alle.“

Desmond Tutu, der Afrikaner, ist ein Ubuntu-Christen-Mensch, der uns mit seinen Visionen als Christinnen und Christen hier auf unserer Afrika-Ägyptenreise mit auf den Weg nehmen will, der nicht mit un- serer Reise endet, sondern dann, wenn Gott es für jeden einzelnen von uns vorhat. Er will im Sinne Jesu unseren universellen, nicht bloß un- seren individuellen Glauben stärken. Dafür sind wir ihm hier im afrikanischen Ägypten dankbar.
Amen.

Dienstag, 13.10.

Wir haben heute am ersten Tag, der uns die 5000 Jahre alten Pyramiden sehen lässt, ein Gebet von Klemens von Alexandrien gesprochen. Er hat dieses Gebet vor 1800 Jahren geschrieben. Klemens, der christliche Theo- loge und Lehrer aus Alexandrien aus dem afrikanischen Ägypten hat diese Bauwerke für die Ewigkeit ebenso schon bewundern können wie 500 Jahre vor ihm Alexander der Große, der die berühmte Stadt gegründet hatte

Wir sind mitten in der Geschichte, denn Klemens nennt Gott-Christus die „Sonne der Gerechtigkeit“, ein Bild aus dem jüdischen Propheten Maleachi, der dieses im 5.Jh vChr in Israel geprägt hat. Und wiederum vernehmen wir ein anderes uraltes Bild aus Ägypten, nämlich das Bild vom Sonnenwagen, das wir zeitlich gar nicht fixieren können- so alt ist es.

Wir alle, liebe Reisefreunde, wissen: wer nach Ägypten reist, m u s s sich sich auf den Mythos und die Geschichte einlassen, sonst versteht er nichts. Doch Mythos und Geschichte hin und her, worum bittet der Christ Klemens seinen und unseren Gott?

Er bittet Gott, den Vater, den Schöpfer Himmels und der Erde, der Sonne und aller Gestirne, seine Wahrheit „niederträufeln zu lassen über alle Men- schen“. Was will er damit sagen?
Die Wahrheit des christlichen Evangeliums von der Liebe, dem Leben und dem ewigen Leben in Jesus Christus möge Gott allen Menschen schenken. Dieses Licht ist der Sinn der neuen Schöpfung, in welche der Glaubende durch den Glauben und die Gnade Gottes hineingenommen wird.

Der afrikanische Mensch, der Ägypter, versteht, wenn vom Licht und von der Dunkelheit der Nacht die Rede ist. Das Tageslicht ist das Licht des Herrn. Dieses Licht hat einen neuen Namen: nicht Amun-Re, Aton oder wie auch immer, vielmehr Jesus C.hristus. Und er ist die Sonne der Gerechtigkeit ( Mal 3,20). So haben wir es von den Juden gelernt, so haben wir es als Christen neu gedeutet und so singen wir es seit Jahr- hunderten im Lied der Böhmischen Brüder:
„Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unserer Zeit, brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann, erbarm dich Herr“ (EG 263,1). Und Str.4, ganz im Sinne des alten ägyptischen Christen Klemens: „Tu der Völker Türen auf; deines Himmelreiches Lauf, hemme keine List noch Macht. Schaffe Licht in dunkler Nacht. Erbarm dich Herr.“

Mittwoch, 14.10.

Der Apostel Paulus, der eigentliche Gründer unseres Paulusseminars und Patron unserer Kirche in Heisingen seit 1984, hat im Kolosserbrief Jesus als den Sohn der Liebe bezeichnet ( vgl.1,13).

Die koptisch- evangelisch lutherische Kirche Ägyptens hat schon 1950, 5 Jahre nach dem schrecklichen 2.Weltkrieg, eine Organisation für Liebes- Sozialdienste begründet, die heute eine der führenden Entwicklungs- organisationen in Ägypten ist: Coptic Evangelical Organization for Social Services (CEOSS).
Diese Organisation mit Wurzeln in der protestantischen Tradition basiert auf dem Liebesevangelium vom S o h n der L i e b e G o t t e s, das Eingrenzungen und Abgrenzungen nicht kennt, und daher zusammenarbei- tet mit Menschen aller Religionen und Rassen, ungeachtet ihres Geschlechts und ihres Glaubens. Sie ermutigt christliche und muslimische Nachbarn, auf gemeinsame Ziele hinzu wirken. So werden beispielsweise Dorfgemeinschaften befähigt, ihre Lebensqualität zu verbessern und die Prinzipien nachhaltiger Entwicklung umzusetzen. Besonders konzentriert sich ihre Arbeit auf Frauen, Kinder und Behinderte.
Ebenso wird die Kultur des Dialogs, des Pluralismus und der Demokratie und der aufgeklärten Nutzung der Technologie gepflegt. Hier werden Männer und Frauen aus allen Ständen und Schichten angesprochen.

Hier wird also versucht, B r ü c k e n der L i e b e zwischen der arabisch- muslimischen Welt und der westlich-kirchlichen Tradition des Protestan- tismus aufzubauen, nicht zur Freude der radikal-islamischen Moslembrüder.

In Deutschland pflegt die Kontakte in der Ev.Kirche besonders die Kirchliche Akademie in Loccum, in Niedersachsen, mit der CEOSS.

Wenn wir heute in Kairo Bauten aus der jüdischen, christlichen und islami- schen Religion sehen und besuchen werden, und wir hoffentlich gewürdigt werden, von Seiner Heiligkeit, Papst Shenuda III. den Segen zu emp- fangen, dann möge uns alle auf unseren Wegen der S o h n der L i e b e G o t t e s, J e s u s  C h r i s t u s begleiten.

Donnerstag, 15.10.

Vieles hören wir dieser Tage über das Licht der Sonne und die Sonnen- götter Ägyptens. In der Frühe des Tages möchte ich den berühmtesten, umstrittensten christlichen Ägypter kurz zum Sprechen und Ihnen zu Gehör bringen. Er heißt O r i g e n e s , der Horus- Entsprossene, stammt auch aus Alexandrien und lebte von 185 bis 253 nChr. Er hat ein grundlegendes Werk, ein Werk der Grundlegung geschrieben, Peri archón, de principiis; natürlich auf Griechisch, es ist aber zu gros- sen Teilen nur lateinisch erhalten (vgl. Vier Bücher von den Prinzipien, herausgeg.,übersetzt von Herwig Görgemanns und Heirich Karpp, Darm- stadt, 3.Aufl.1992). Sein großes theologisch-philosophisches Werk hat er mit dem christlichen Märtyrertod unter Kaiser Decius im 3.Jh gekrönt.

Neutestamentlich-christlich sagt er nach 1 Joh 1,5:
„Gott ist Licht, und Finsternis ist nicht in ihm.“ Und erklärt: „ Dies ist doch wohl das Licht, das allen Sinn derer erleuchtet, die die Wahrheit fassen können,…Denn was kann man sonst „Licht Gottes, in dem man das Licht sieht“ (vgl.Ps 35(36),10) nennen, als die Kraft Gottes, durch welche erleuchtet man die Wahrheit aller Dinge d u r c h s c h a u t und G o t t s e l b s t erkennt, der die Wahrheit genannt wird (vgl. Joh 14,6). … In deinem Wort und in deiner Weisheit, die dein Sohn ist, in diesem werden wir dich, den Vater, s e h e n.“ (De princ. I,1: Görgemanns-Karpp, S.101).

Durchschauen, erkennen, sehen, all das sind unsere Worte für unser Sehen mit den Augen. Aber sie sind auch unsere Worte für unser tieferes oder höhe- res Sehen, Erkennen und Verstehen. Der Ägypter war ein Augen-Mensch wie der Grieche. Beides verband sich in Origenes. Im Licht erkennt man die Wahrheit der Sonnengötter, so glauben die Altägypter. Im Licht erkennt man die Wahrheit des Einen, des Vaters und des Sohnes Jesus Christus, der die Wahrheit, das Wort und die Weisheit des Vaters ist, so glauben w i r mit dem griechisch-ägyptisch-christlichen Lehrer und Theologen Origenes.

Der Sohn ist nicht nur die „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20), sondern er ist wie der Vater „der Glanz seiner Herrlichkeit und das Prägebild seines Wesens“ (Hebr 1, 3 ) oder wie man im 4.Jh im Bekenntnis von Nizäa- Kon- stantinopel zum Ausdruck bringt: „ Gott von Gott, L i c h t vom L i c h t“ (= EG Nr.854).
Wir sehen also heute anders: Weil Gott nicht die Sonne selbst , sondern ihr erhabener Schöpfer ist.

Freitag, 16.10.

Heute blicken wir in unserer morgendlichen Meditation nicht auf Pyramiden und berühmte Oasen wie Fayoum, sondern auf einen anderen berühmten christlichen Ägypter, um uns auf unseren mor- gigen Besuch des Antonius- und Paulusklosters vorzubereiten. Es ist A t h a n a s i u s (ca 295/300- 373), Patriarch von Alexandrien.
Als junger Theologe stand er auf dem 1.Ökumen.Konzil von Nizäa, heute auf dem asiatisch-türkischen Festland, (321) dem derzeitigen Patriarchen Alexander zur Seite und war der Hauptgegner des klugen A r i u s , der als Priester in Alexandrien seine hochumstrittene Lehre verteidigte, dass Jesus Christus Geschöpf Gottes und ihm nur ä h n l i c h sei. Kaiser Konstantin fürchtete um die politische Einheit in seinem großen Reich. Er war der „politische Drahtzieher“ beim Konzil.
Arius wurde als Ketzer verurteilt; die entscheidende Verwerfungsaus- sage gegen diese Ketzerei bekennen alle Christen auf Erden in dem Satz, den wir gestern hörten: „Jesus Christus ist Gott von Gott, Licht vom Licht, … e i n e s W e s e n s mit dem Vater; durch ihn ist alles erschaffen“ (EG 854). Aber es gab in der Folge nicht wenige Arianer, Bischöfe und Kaiser unter den Söhnen Konstantins und dann die Ger- manen in großer Zahl.
Athanasius musste 5mal ins Exil gehen, sein erster Aufenthalt im Exil war unser berühmtes Trier. Aber er wankte nicht im Glauben und war 17 Jahre lang Patriarch von Alexandrien. Abgesehen von seiner strik- ten Verteidigung der Trinitätslehre von Nizäa trug er entscheidend zum Ruhm des großen Einsiedlers und Asketen A n t o n i u s bei ( ca 251- 356 ), weil er unmittelbar nach dessen Tod die vita Antonii, das Leben des heiligen Antonius verfasste. Antonius wurde zum „V a t e r des M ö n c h t u m s.“
Im seinem Vorwort sagt er wörtlich: „… das Leben des Antonius ist für Mönche ein treffliches V o r b i l d der Askese.“ In Kp.16 zitiert er aus einer Rede des Antonius an die Mönche: „Wir haben lange Zeit hin- gebracht in der Askese… Das ganze Leben ist überaus kurz, wenn man es an den künftigen Ewigkeiten misst; unsere ganze Zeitlichkeit ist so nichts gegenüber dem ewigen Leben….Wenn wir auf Erden unseren Kampf gekämpft haben, dann werden wir unser Erbteil nicht auf dieser Erde haben, sondern unser sind die Verheissungen des Himmels. Und endlich,wenn wir unseren vergänglichen Leib ablegen, werden wir ihn unsterblich zurückerhalten.“-
Das passt gut nach Ägypten und auch gut für uns.

Samstag, 17.10.

Heute kommen wir zum Pauluskloster und zum Antoniuskloster. Wir wissen alle, dass dieser Paulus mit „unserem“ Paulus nichts zu tun hat, nur den berühmten Namen teilt. Die Legende erzählt, dass der 90jährige heilige Antonius von einem Wolf und einem Satyr den Weg zum Eremiten Paulus (ca 228- 342, über 100 J. ) erfahren wollte. Sie wiesen ihm den Weg. Paulus habe sich lange bitten lassen, aus seiner Eremitenhöhle heraus zu kommen. Dann fielen sich beide Greise freundschaftlich-brüderlich in die Arme und eine Rabe brachte gleich z w e i Brote. Antonius erlebte den Tod des weit über hundertjährigen Paulus und konnte ihm mit Hilfe zweier Löwen eine Grube ausheben, in die er den Eremiten zur ewigen Ruhe betten konnte. Oft sind diese Szenen dargestellt worden. Paulus hatte zum Vermächtnis dem Antonius seinen aus Palmstroh gewebten Rock zugedacht, den dieser als hochver- ehrte Reliquie mit nach Hause nahm.

Paulus gilt als „Vater des Eremiten-Einsiedler-Lebens“. Sein Ruhm und seine Reliquien verbreiteten sich überall in Europa. Uns Paulussemina- risten begegnete dieser Paulus 2008 in Tschenstochau/Polen. Die Pauli- ner, im 13.Jh als Eremitenorden entstanden, betreuen bis heute den polni- schen Nationalort der Schwarzen Madonna (Ordo Sancti Pauli Primi Eremitae).Hieronymus schrieb in Bethlehem im 4./5.Jh seine Vita .

Das P a u l u s k l o s t e r entstand als eines der ältesten Klöster neben dem Antonius-Makarius- Kloster und vielen anderen im 4.Jh. Es ist klei- ner und schwieriger als das Antoniuskloster zu erreichen. Die Mönche heute sind gastfreudig, natürlich keine Eremiten mehr, ein stattliches Gästehaus steht bereit. Die Kirchen-Fresken sind sozusagen aus der Neuzeit (18.Jh).

Das A n t o n i u s k l o s t e r liegt ca 300 km von Hurghada in den Bergen der östlichen Wüste. Antonius verbot seinerzeit den Mönchen und seinen Anhängern, sich in der Nähe seiner Felsenhöhle aufzuhalten. Daher wählten sie einen Quellort unterhalb der Höhle aus Baustelle für ein Kloster, dessen Einsamkeit die Arabisierung und Islamisierung erfolgreich überstand; im 12.-15. Jh entfaltete sich hier ein blühendes geistliches und geistiges Leben. Die Fresken, die uns entzücken, sind Früchte dieser Zeit. In den 1990ziger Jahren wurden sie renoviert. Bis 1970 wurde das Kloster von gerademal 4 Mönchen betreut. Unter Papst Shenuda III. setzte ein unerhörter Aufschwung ein. Heute leben etwa 80 Mönche dort. Ein Satz aus den Sprüchen der Wüsten-Väter beschließt unser heutiges Nach- denken: „ Nicht weniger ist die Vollendung des Guten in uns G o t t e s G e – s c h e n k.“

Dienstag, 20.10.

Auf dem Weg zum Gottesberg Horeb durchqueren wir heute eine der „schönsten Landschaften“, wie ECC nicht übertreibend schreibt. Aber wir begegnen auch Heiligem Land mit Symbolcharakter. Wir haben von der Gottesoffenbarung gehört und werden davon hören. Moses hat die Gebotstafeln empfangen, im brennenden Dornbusch war ihm Gott erschienen, unsichtbar, aber deutlich vernehmbar (vgl. 2 Mose 19-20).Vom Abfall des erwählten Volkes haben wir gehört.

Mehrere Jahrhunderte später erfährt der Prophet Elias einen erneuten, für ihn definitiven Abfall des Volkes von Gott (vgl. 1 Kön 19, 1-15). Weggelaufen zu den Fruchtbarkeitsgöttern seiner heidnischen Umge- bung im gelobten Land; just in dem Land, in das Gott sie durch Josua geführt hatte. Treulos. Diesem Volk ist nicht zu helfen: „Es ist genug, so nimm denn mein Leben hin; ich bin nicht besser als meine Väter.“ Ich bin gescheitert. Ich schaffe es nicht.
Frustation, Resignation, Burn out würden wir heute sagen. Nach 40 Tagen erreicht Elias auf dem Berg Horeb eine Höhle und bleibt dort über Nacht. Dabei wird er angesprochen durch Gottes Frage: „Was machst du hier, Elias?“ (V. 9) „Ich habe geeifert für den Herrn“ – hören wir den Elias antwortend singen in der Vertonung durch Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen 200. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Gott begegnet ihm dann nicht im Feuer wie dem Moses, sondern in einem stillen, sanften Sausen (vgl.V.12), übersetzt Luther; im Flüstern eines leisen Wehens, versteht die Zürcher Übersetzung und Martin Buber noch verhaltener: in der Stimme verschwebenden Schweigens.

G o t t ist i m m e r a n d e r s. Resignation, Zorn, Stolz des Elias sind dahin. Einen neuen Auftrag erfährt er, gestärkt und ermutigt durch Gott. Diese Erfahrung machte auch Jesus am Ölberg. Auch in Schwach- heit und Verletzlichkeit ist Gott gegenwärtig. Der Apostel Paulus sagt in 2 Kor 12, 9: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Für das Judentum und das Christentum sind die Regionen um den Gottesberg Horeb unendlich heilige Bezirke im Sinai seit Jahrtausenden. Wenn uns dieses Bewusstsein neu geschenkt wird, dann sind auch wir auf heiligem Wege- über reines touristisches Erschließen weit hinaus.

Mittwoch , 21.10.

Das phänomenale griechisch (nicht koptisch!)- orthodoxe Katharinen- Kloster ist über Jahrhunderte ein M a r i e n k l o s t e r gewesen. Erst im 8.Jh wurde es nach der afrikanisch-ägyptischen Märtyrerin aus Alexandrien so genannt. So reichhaltig wie ihre Märtyrerlegenden sind ab dem 13.Jh auch im Westen die sie Anrufenden: von Mädchen, Schülern, Lehrern aller Schularten bis zu allen Berufen, die mit einem Rad arbeiten. Keine Heilige wurde so oft angerufen wie Katharina außer der Mutter Jesu. Das Marien-Dornbuschkloster wurde das wichtigste Verehrungszentrum, weil Engel ihre Reliquien dorthin getragen haben sollen. Ihre Darstellungen sind unendlich.

Das Kloster wurde zu Lebzeiten des Kaisers Justinian des Großen (ca 482 -565) zwischen 548 und 565 mit den gewaltigen Schutzmauern gebaut. Eine Söldnertruppe, die sich später mit den Beduinen mischte und deren Nachkommen noch heute dem Kloster dienen, wurde dorthin verlegt. Nur der Kalif al Hakim im 10.Jh wurde zur Gefahr für das Kloster, das er aber dann wegen der innerhalb der Mauern befindlichen Moschee schonte. Das Kloster, eng mit Zypern und Kreta verbunden, besitzt noch bis heute dort beträchtliche Metochien, Besitztümer. Mit den Kreuzfahrern kamen auch westliche Mönche zum Sinai. Kretische und byzantinische Ikonen- maler schufen viele Kunstwerke für das Kloster, die ausnahmslos den byzantinischen Bilderkampf (8./9.Jh) überstanden, wie das Katharinen- Kloster als einziges der Vernichtung in seiner langen Geschichte e n t – g a n g e n ist.
Wegen des ungeheuren Ansturms der Besucher, denen wir auch zugehö- rig sind, kann leider ein geistlicher Mittelpunkt, die Kirche der Verklärung Christi, das gewaltige Apsismosaik, nicht mehr direkt betreten werden, was wir 1993 noch konnten. Dieses wohl von westlichen Künst- lern um 565 geschaffene Werk in der Apsis der großen Basilika sieht man heute nur noch indirekt, wenn man die Kirche durch die originale Tür aus dem 6.Jh, „die besterhaltene, die wir kennen“ (so der 1996 verstorbene große Kenner Kurt Weitzmann) betreten hat. Auch der originale Dachstuhl aus dem 6.Jh ist etwas völlig Einmaliges. Aus den an Seitenflächen von drei Trägern angebrachten geschnitzten Inschriften in Riesenbuchstaben kann man außer der Bitte um das fromme Seelenheil Justinians die Daten der Entstehung genau entnehmen. Auch den Namen des Baumeisters Stephanos von Aila ( heutiges Aquaba) erfährt der Kundige; auch das ist einmalig. Theologisch zielt hier alles auf die sog. Zwei Naturenlehre Christi ab, die 451 auf dem Konzil von Chalcedon, auf der asiatischen Seite der heutigen Türkei, verkündet worden war und zum Streit zwischen Dyophysiten und Monophysiten, den Kopten, führte.

Donnerstag, 22.10.

Die Zwei Naturenlehre ist letztlich der Grund, dass im Katharinen- kloster kaum Einflüsse der koptischen und armenischen Kirche zu finden sind, während die griechische, georgische und russische Ortho- doxie um diesen Einfluss wetteifern. Aber auch wir Deutschen spie- len in anderer, in wissenschaftlicher Weise eine nicht unerhebliche Rolle, von der ich kurz sprechen will.

Konstantin von Tischendorf, der deutsche Theologe und Altphilologe, einer der besten Handschriftenkenner des 19.Jh´s, machte sich im Mai 1844 auf, um im Katharinenkloster nach alten Handschriften zu suchen. Dort entdeckte er 129 großformatige Pergamentblätter, dessen griechischer Text dem AT entstammte und nach der Buchstabenform ins 4.Jh nChr zu datieren war. Er konnte sie mit nach Leipzig nehmen und sie dort veröf- fentlichen ohne den Fundort anzugeben. Die Sache ließ ihm keine Ruhe, etwa 10 Jahre später war er wieder am heiligen Ort, um nach den restlichen zu suchen. Aber es war nichts zu finden, auch bei neuerlichem Besuch (der nur im Kamelritt zu schaffen war!)nicht. Bei seinem Abschiedsbesuch sah er in der Ecke einer Zelle ein Paket in rotem Tuch. Als er es öffnete, fand er zu seiner riesigen Freude und Überraschung 86 Blätter und noch weitere.

Der sog.Codex Sinaiticus war entdeckt, der einen Großteil des AT, das vollständige NT und zwei apokryphe Schriften enthält- eine Sensation, durchaus mit der Entdeckung der Grabkammer des Tutenchamun durch Howard Carter 1923 vergleichbar. Kaiser Konstantin I. hatte als Förderer der christlichen Kirche die Abschriften in 5o Exemplaren möglicherweise in Auftrag gegeben.
Das weitere Schicksal des Codex ist auch hoch interessant; ich kann es aber hier nicht erzählen. Heute befindet er sich im Britischen Museum, ein Teil noch immer in Leipzig, andere in St.Petersburg. Aus historisch- textkritischer Sicht ist der Codex Sinaiticus von enormer Bedeutung; gehört er doch mit dem gleichzeitigen Codex Vaticanus, von dem er sich nur unwesentlich unterscheidet, zu den wichtigsten erhaltenen Bibel- manusskripten, die das NT vollkommen enthält und zu den ältesten gerechnet werden muss. Im berühmten Kloster hält sich noch immer die Version vom „Diebstahl“ des Kodex. 2007 ist aber im Zarenarchiv in Moskau die Schenkungsurkunde der sog.Sinaitien an den russischen Zaren aufgefunden worden.

Freitag, 23.1o.

Auf dem vorletzten Blatt unseres Liederheftes finden wir die berühm- teste und für mich schönste Ikone: Christus-Pantokrator aus dem Sinai- Kloster. Wir haben sie alle im Museum dort original gesehen Gemeinsam will ich sie betrachten und meditieren.
Man hat den Eindruck, dass er durch einen hindurchschaut. Oder durch- schaut er uns, dieser Allherrscher? Sein Blick ist nach innen gerichtet, was der Maler dieser Ikone bewusst durch die Stellung der Augen zum Ausdruck bringt. Die Sehachsen gehen leicht auseinander. Sie schneiden sich gewissermaßen im Innern des Kopfes. Er sieht nur bedingt, was vor Augen ist, er nimmt mit dem innern Auge wahr. „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an“ (1 Sam 16,78).

Ein absolut u n b e s t e c h l i c h e r und u n e n d l i c h b a r m h e r – z i g e r Allherrscher ist unser Richter. Kein arroganter Diktator, kein Tribunal, kein Standgericht, kein Scherben- oder Totengericht von anderen anderen Göttern.

Im 6.Jh, der Glanzzeit der Ikonenmalerei, hat Kaiser Justinian dem von ihm errichteten Marienkloster, später Katharinenkloster, wie wir wissen, diese Pantokrator-Ikone geschenkt. Sie stammt aus Konstantinopel. Sie ist der frühen Zeit entsprechend in der besonders in Ägypten beliebten Enkaustik, dh der Wachsmaltechnik, gemalt.

Die große Gestalt strahlt hieratische Würde aus, unterstrichen noch durch die schmale Nase. Die großen Augen zeigen Hoheit, hellenistischer Tradition nach ägyptischem Vorbild einer Totenmaske entsprechend. Der Mund ist klein. Der Bart ist kurz. Das Haupthaar lang. Die rechte Hand ist zum Segens- gruß erhoben. Die zwei leicht nach oben gerichteten Finger weisen auf die uns vertraute Zwei Naturen-Lehre von 451 hin, die göttliche und die menschliche Natur Christi . Streitlehre zwischen griechischen Dyophysiten und den koptischen Monophysiten. Die drei Finger symbolisieren die göttliche Trini- tät. Die linke Hand trägt ein reichgeschmücktes Evangeliar. Christi Präsenz im göttlichem Wort, dem Logos.

Am wichtigsten aber ist das Gesicht. Es sind zwei unterschiedliche Gesichts- hälften. Am besten erkennt man dies, wenn man eine Seite entlang des Nasen- rückens abdeckt.

Die l i n k e ( vom Betrachter aus rechte) Gesichtshälfte ist die m e n s c h l i c h e. Sie ist stärker hell- dunkel schattiert, ja ich finde sie plastischer. Die Augenbraue ist realistisch geformt. Das Auge scheint lebendiger. Der Mund zeigt ansatzweise ein freundliches Lächeln, was wir alles natürlich auf dem großen Original viel besser nachvollziehen können.
Der andere Mundwinkel ist etwas heruntergezogen, was einen strengen Gesichtsausdruck bewirkt. Auf späteren Pantokrator- Ikonen fast immer unverkennbar.
Die r e c h t e Seite ist die g ö t t l i c h e. Sie ist heller, scheint von innen heraus zu leuchten. Auge und Augenbraue sind stili- siert, fast möchte man sagen idealisiert.

Die beiden Gesichtshälften entsprechen der menschlichen und der göttlichen Natur unseres Herrn, des wahren Menschen und wahren Gottes, und bilden dennoch ein einheitliches Gesicht. Zwei Naturen in einem Wesen, in einer Person und dennoch unvermischt und ungetrennt.

Also ein eminent d o g m a t i s c h e s B i l d, das in meister- hafter, fast möchte ich sagen überirdischer Weise, die zentrale Christusaussage des Bekenntnisses von Chalcedon ins Bild setzt. Möglicherweise wollte der Kaiser die Mönche an der Südostecke seines großen byzantinischen Reiches auf die offizielle Theologie und Lehre von Byzanz verpflichten. Justinian hatte ja diese Aus- einandersetzungen mit großer Kenntnis und eminentem Interesse verfolgt und gefördert, ja selbst eingegriffen. Bei der Verfolgung seiner Gegner war er nicht zimperlich.
Theodora aber, die Kaisersgattin, unterstützte in aller Stille die anderen theologischen Parteien, insbesondere die Syrer. Ohne sie, behauptet ein berufener Mund, gäb es vielleicht die altorientali- schen-monophysitischen Kirchen gar nicht mehr? Wie dem auch sei.

Der unbestechliche Pantokrator ist der uns Bruder gewordene barmherzige Jesus. Sein Antlitz zeigt den Ernst der Liebe und die Güte der Strenge. Er trägt das All und all das Kleine und Große in unseren Sorgenbündeln. Er bewahrt uns vor den Abgründen des Lebens. Er nimmt uns ernst. Er ist ein unendlicher Augenblick unseres Gottes.

Dr. Pfarrer Eckhard Schendel, Paulusseminar Essen