Armenien, das „Tor Europas nach Asien“

Mehr als ein Reisebericht

Eine Reisegruppe von 29 Teilnehmern, überwiegend aus Wiesbaden und Umgebung, ist Mitte Oktober unter der bewährten Leitung von Pfarrer i.R. E. Heimburger nach Armenien gereist. Im Mittelpunkt der Studienreise standen Einblicke in die reiche Kultur aus der Vergangenheit, wie sie sich in einer Vielzahl von Kirchen und Klöstern widerspiegeln und das Erleben des heutigen Armenien, das sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990 Jahre auf den Weg zu einer demokratischen Gesellschaft gemacht hat.

Schon die ersten Eindrücke zeigten uns ein Land, wie wir es uns kaum vorgestellt hatten, ein Land, in dem es von Steinen und hohen Bergen nur so wimmelt, wo es nur wenig nutzbare Ackerfläche gibt und wo doch, oft auf kleinen Flecken, jedes Stückchen fruchtbaren Bodens für Land- und Weidewirtschaft genutzt wird. Mit Recht ist Armenien bekannt für seine Aprikosen, seinen Cognac und seine Weine, ist doch die Weinbautradition mehr als 6100 Jahre als!

Das Land und seine Menschen werden von der Situation geprägt, dass es vier Anrainerstaaten gibt, Georgien, Aserbeidschan, Türkei und Iran, wobei die Grenzen von der Türkei und von Aserbeidschan seit Jahren verschlossen sind. Ein Blick auf den türkischen Grenzzaun lässt Erinnerungen an das Grenzregime der DDR aufkommen.

Dazu ist jetzt, im Jahr 2015, die Erinnerung an den vor 100 Jahren vom türkischen Staat organisierten Völkermord an den Armeniern überall gegenwärtig. Der Besuch der Gedenkstätte des Völkermords nahe der Hauptstadt Eriwan ist beeindruckend und macht tief betroffen. Wer kann es den Armeniern verdenken, dass sie aus dieser Erfahrung heraus sich eng an Russland (auch wenn es kein unmittelbarer Nachbar ist) anlehnen sowie an den islamisch regierten Iran, mit dem sie seit langem freundschaftlich verbunden sind und der damals, nach dem Austritt Armeniens aus der Sowjetunion, die einzige Verbindung des Landes zur Außenwelt darstellte.

Das Erbe der untergegangenen Sowjetunion ist noch überall mit Händen zu greifen, nicht zuletzt in den tristen, überall gleichen mehrstöckigen Wohnblocks, die zudem noch einen heruntergekommenen Eindruck machen. Aber es gibt auch viele hoffnungsvolle Entwicklungen, private Initiativen, etwa durch Investitionen im Beherbergungsgewerbe.

In den erst wenig mehr als 20 Jahren seit seiner Unabhängigkeit hat sich Armenien aufgemacht, eine Demokratie zu entwickeln und steht davor, noch in diesem Jahr seine Verfassung zum 2. Mal zu novellieren. Sie schauen dabei nach Deutschland und insbesondere auf unsere Regelung zur Aufgabenverteilung zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler.

In den Familien und vom Staat wird viel Wert auf eine gute Schulbildung gelegt, die auch Kunst und Musik mit umfasst. Dabei werden Mädchen und Jungen gleichermaßen gefördert.

Armenien ist das älteste christliche Land der Welt, das vor mehr als 1700 Jahren das Christentum angenommen hat. Davon zeugen beeindruckende Kirchen und Klöstern, von den die ältesten bis ins 4. Jahrhundert zurückreichen. Auch was in den späteren Jahrhunderten, insbesondere im 9. Bis 13. Jahrhundert geschaffen wurde, sind bewundernswerte architektonische Meisterleistungen. Dem stehen die Leistungen der Mönche mit ihren Übersetzungen antiker Schriften, der Ausmalung von Handschriften, dem Aufbau von Akademien zur Ausbildung junger Menschen in keiner Weise nach. Auch die Steinmetze haben mit den überaus kunstvoll gestalteten Steinkreuzen Großartiges geleistet. Die armenische apostolische Kirche führt sich auf den Apostel Taddäus zurück, sie prägt bis heute das Lebensgefühl der Menschen und hat über lange Zeiten hinweg, auch als Armenien über Hunderte Jahre hinweg nicht als eigener Staat existierte, den Zusammenhalt des Volkes und den Erhalt seiner reichen Kultur gesichert. Auch wenn die Liturgie uns fremd anmutet, wir waren beeindruckt vom Gespräch mit einem Pfarrer, der uns die Freiheit und Toleranz dieser Kirche nahe brachte. So kennt sie für ihre Priester die Wahlmöglichkeit, zu heiraten oder ehelos zu leben, Frauen können zu Diakonen geweiht werden und die Gläubigen sind an der Wahl der Bischöfe mit beteiligt.

Trotz eines dicht gefüllten Programms hat die Zeit nicht ausgereicht, dieses Land hinreichend kennenzulernen. Die Reise hat uns die Augen geöffnet für ein Land, das im Schnittpunkt vieler Kulturen liegt, dessen Bewohner sehr aufgeschlossen und freundlich sind, auch und gerade gegenüber Fremden und das tatsächlich für Europa nicht nur geographisch, sondern auch von der Mentalität ein „Tor nach Asien“ darstellt.

B.R.